Eleonore Klappfuß kann Sachen machen

by | Okt 2, 2014 | Wort & Freiheit | 0 comments

 

(Eckernfördener Texte II) (Erstes unlektoriertes und unkorrigiertes Typoscript)

Eleonore Klappfuß findet, dass sie einen schönen Vornamen und einen total blöden Nachnamen hat. Eleonore kann Sachen machen. Ihren Nachnamen ändern kann sie nicht, weil sie nicht weiß, was sie tun muss, damit der Nachname endlich weg wäre. Deshalb hat sie sich mit ihm abgefunden. „Wehe, ihr macht Witze über meinen Nachnamen!“, hat sie gesagt, als sie in die neue Schule kam, die gar nicht neu ist, sondern schon ganz lange besteht, aber für Eleonore war sie neu und deshalb hat sie sie eine Zeitlang so genannt. Inzwischen sagt sie nur Schule zur Schule und nicht mehr neue Schule. Eleonore Klappfuß ist fünfzehn Jahre alt und macht seit fünf Jahren Sachen.
Sie weiß nicht genau, weshalb sie Sachen machen kann. Aber sie hat natürlich eine Vermutung. Und irgendwann wird sie ganz, ganz genau wissen, weshalb sie Sachen machen kann, denn Eleonore bekommt alles heraus. Sie vermutet, es hat mit dem Ring zu tun, den sie auf der Straße gefunden hat. Genau an ihrem zehnten Geburtstag war das. Der Ring lag an der Ampel. Das war noch in Hamburg. Denn früher haben Eleonore Klappfuß, ihr Vater Paul Anton Konrad Klappfuß, ihre Mutter Sabine Elke Klappfuß und sie in Hamburg gewohnt. In einer schönen Wohnung in Eppendorf. Natürlich war die schöne Wohnung nicht so schön, wie es das schöne Haus ist, in dem sie jetzt wohnen und es gab auch keinen Ostseestrand und keine Altstadt mit kleinen geduckten Häusern. Das Haus war eine der ersten Sachen die Eleonore gemacht hat. Also – der Ring. Der lag da, direkt bei dem Ampelmast neben einem Hundehaufen und einer armen kleinen Blumen. Es war ein ganz schöner Ring. Einen so schönen Ring hatte Eleonore noch nie gesehen. Nicht einmal ihre Mutter hatte einen Ring, der so schön war, wie der, den Eleonore jetzt aufhob und gegen den Himmel hielt. Der Ring war schwer und golden und der Stein in dem Ring war ganz blau, viel blauer, als alles Blau, das Eleonore kannte. Dass es so ein Blau überhaupt gab und so einen schönen Ring. Einen Moment lang dachte sie daran, den Ring einfach zu behalten, weil er ja so wunderwunderschön war. Eleonore Klappfuß hat vor nichts Angst, das heißt, vor fast nichts. Vor einem schlechten Gewissen nämlich hat sie Angst. Ein schlechtes Gewissen bohrt einem im Gehirn herum, das wusste sie, und es hörte gar nicht auf , zu bohren. Und weil sie nicht wollte, dass ihr das schlechte Gewissen im Gehirn herum bohrte gab sie den Ring auf der Polizeiwache in der Troplowitzstraße ab. Später am Tag war es, als würde jemand ihre Schulter berühren. Sie wirbelte herum, aber da war niemand.
Jedenfalls konnte sie plötzlich Sachen machen. Das wusste sie aber nicht sofort. Am Anfang erkannte sie gar nicht die Sachen die sie machte als die Sachen, die sie machte. Oder nicht machte. Hausaufgaben zum Beispiel, die ihr erst im Bus einfielen, wenn es zu spät war. Aber niemals versuchten die Lehrer ihre Hausaufgaben zu kontrollieren, wenn sie sie vergessen hatte. Oder, wenn sie eigentlich zu spät gekommen wäre, zum Fußballtraining bei Pauli zum Beispiel oder zum Chor, dann war sie trotzdem noch rechtzeitig da, weil die Trainerin eine Panne hatte oder der Chorleiter den Bus verpasste. Dass sie Sachen machen konnte, wusste Eleonore erst, als die Sache mit Klaus Hermann geschah. Klaus Hermann ist Eleonores Hund. Als die Sache passierte, hatte sie aber noch gar keinen Hund. Deshalb wusste sie ab da: Ich kann Sachen machen! Sie saß in ihrem Kinderzimmer und grummelte vor sich hin. Sie grummelte, weil ihr Vater ihr keinen Hund besorgen sollte und ihre Mutter auch nicht. „Was fürn Hund denn überhaupt“, fragte der Vater immer. Und immer antwortete Eleonore Klappfuß: „Eine Promsinatenmischung“ (Mutter verbesserte jedes Mal: Promenadenmischung), und Eleonore wiederholte jedes Mal: „Also Promenadenmischung. So hoch ungefähr“, und sie zeigte auf die Höhe ihres Knies, was nicht sehr hoch ist, wenn man zehn Jahre alt ist. Und Vater sagte: „Aber wer soll sich denn um den Hund kommern“. Mutter sagte: „Ich auf keinen Fall, nee, nee“. Und Eleonore antwortete: „Ich natürlich“. Ihre Eltern antworteten im Chor: „Ach Eleonore, das wird doch nichts“. Also deshalb saß Eleonore jetzt in ihrem Zimmer und grummelte. Sie stellte sich den Hund vor. Einen schwarz-weißen Hund der mit dem Schwanz wedelte und Klaus Hermann hieß. Total doof, dass ich keinen Hund haben darf, dachte sie.
Vermutlich hatte es keinen Sinn ihre Eltern zum xten Male zu fragen, ob nicht doch …
Dann kam ihr Vater heim. Und mit ihm kam: Klaus Hermann. Weil ihr Vater Rechtsanwalt ist, braucht er immer etwas länger, um zu erklären, was geschehen ist. Jedenfalls lief es darauf hinaus, dass ihr Vater einen Termin im Tierschutzverein hatte und Klaus Hermann hatte offenbar unwiderstehlich mit dem Schwanz gewedelt und den schönsten Hundeblick aufgesetzt, den er konnte. Jetzt war er also da. Und Eleonore war unheimlich.
Als sie abends im Bett lag und Klaus Hermann neben ihrem Bett vor sich hin schnarchte, da war sie sich sicher: Sie konnte Sache machen. Zum Beispiel Klaus Hermann.
Jetzt machte Eleonore schon seit vier Jahren Sachen. Das Haus in Eckernförde war die größte Sache bisher. Ihr Vater hatte immer wieder davon gesprochen, wie gerne er in einer Kanzlei an der Ostsee arbeiten würde, auf dem Land, wie er das nannte. Und dann hatte Eleonore begonnen daran zu denken. Sie hatte ganz intensiv daran gedacht, aber sie wusste nicht, wie das ging: Eine Kanzlei aufmachen, ein Haus kaufen, umziehen. Deshalb klappte es so nicht. Aber Eleonore hörte sich um. Kanzlei war nicht schwer. Einfach aufmachen. Hmm … das mit den Kunden, die Mandanten hießen, damit man Rechtsanwälte nicht mit Kaufleuten verwechselte, würde Eleonore dann schon zurecht denken. Aber das Haus. Ihr Vater müsste ja aktiv werden. Und mit dem aktiv werden und ihren Vater war es so schwierig, wie mit dem aktiv werden und ihrer Mutter.
Man brauchte einen Makler. Soviel wusste Eleonore Klappfuß. Und der müsste Vater anrufen. Aber Makler rufen nicht einfach irgendwelche Leute an, die sie gar nicht kennen und bieten denen Häuser an. Eleonore musste aktiv werden.
Sie googelte nach Makler an der Ostsee und suche sich den mit den schönsten Häusern heraus. Dann rief sie an. Sie stellte sich die Stimme von Frau Schröder vor. Frau Schröder war die Sekretärin von Paul Anton Konrad Klappfuß. Frau Schröder konnte Eleonore nicht leiden, weil Eleonore Frau Schröder nicht leiden konnte, was daran lag, dass Frau Schröder Eleonore nicht leiden konnte. Wer mit dem Nichtleidenkönnen angefangen hatte, wussten weder Frau Schröder noch Eleonore. Aber das war egal. Wenn man sich nicht leiden kann, kann man sich nicht leiden. Sie stellte sich also die vermaledeite Frau Schröder vor. Und tatsächlich: Ihre Stimme klang original schröderisch. „Mein Chef sucht ein hübsches, romantisches Haus an der Ostseee“, sagt die Stimme von Frau Schröder, „ich schicke ihnen gleich eine Mail. Bitte schicken Sie die Angebote nicht in die Kanzlei, sondern an die Privatadresse.“ Dann stellte sich Eleonore die Mail vor. Und sie war sich sicher: Die Mail sauste gerade durch die Leitungen und kam im Büro des Maklers an.
Tatsächlich vergingen nur wenige Tage und dann kam ein dicker Briefumschlag mit Angeboten an. Am Abend saßen alle um den Küchentisch. „Weiß einer, weshalb mir der Makler das geschickt hat. Ich kenne ihn gar nicht“, sagte der Vater. „Vermutlich will Frau Schröder, dass wir umziehen, damit sie Deinen Kompagnon für sich allein hat“, sagte Mutter. „Sozius“, antwortete der Vater. Die meisten Häuser waren nichts. Reihenhäuser, Häuser aus gelben Klinkersteinen, die Vater immer Kloklinker nannte, schieden aus. Aber dann war es da. Ein Haus von 1880, sie blau auf weiß über der Tür stand. Ein schönes, romantisches Haus, mit einem Rosenstock vor dem Eingang, in einer kleinen Gasse und Google Maps zeigte: keine 300 Meter vom Eckernfördener Hafen entfernt. „Das sehen wir uns an“, sagte Eleonore. Und obwohl ihre Eltern die Sache aussichtslos fanden („Der ganze Umzug …“, „Wir kennen da doch keinen“, „Wie soll das bloß gehen“), wusste Eleonore Klappfuß: Es wird umgezogen werden. Denn wer Sachen machen kann, kann Sachen machen. Und Klaus Hermann wedelte dazu mit dem Schwanz und hüpfte auf den Schoß von Eleonore um auch die Bilder sehen zu können. „Wuff“ sagte er. Und da hatte er recht. Vater kaufte das Haus vom Fleck weg, weil Mutter lauter kleine Jubelschreie ausstieß, als sie das Haus sah und dann noch mehr beim Gang durch die schöne kleine Stadt an der Ostsee. Und auch Klaus Hermann schien sich wohl zu fühlen. Zur Sicherheit markierte er die Haustür.
Eleonore saß gerade mit ihrem neuen Freund am Strand und blickte aufs Meer, als ihr die Sache mit der Mail wieder einfiel. Eleonore dachte lange nach. Dann rief sie an. Das heißt, sie rief nicht richtig an, sie stellte sich vor, sie würde ihren Freund anrufen. Sein Telefon klingelte. „Hallo“, sagte er. „Hallo“ sagte die Stimme von Eleonore, „ich kann telefonieren ohne Telefon. Und ohne zu sprechen. Toll nicht?“ Ihr Freund starrte sie an. „Hallo“, sagte er wieder in das Telefon, „wer ist denn da“. „Na, ich natürlich“, sagte Eleonore. Dann gab sie ihm einen Kuss und in sein Ohr sagte sie: Ich kann Sachen machen. Und das kann sie, die Eleonore Klappfuß. Nur den blöden Nachnamen, den bekommt sie irgendwie nicht weg.

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