Das Mädchen mit den goldenen Haaren

by | Jul 25, 2012 | Wort & Freiheit | 0 comments

DSC_0205Wir saßen in der Vaca Loca in Assenza. Ein Glas Wein vor uns. Der Abend war lau, ein leichter Wind ging von den Bergen her. Da sah ich sie: Das Mädchen mit den goldenen Haaren. Nein, diese Haare waren nicht blond, sie hatten nicht jenen kupferfarbenen Ton von Tönungen. Sie waren golden, sie glänzten unter dem Licht der kleinen Laternen des Strandcafes.
Und ich wusste, wie ich die Fortsetzung von "Warten auf Ahab" schreiben würde.
Tage später sahen wir sie wieder. Mit ihrer Schwester und ihrem Bruder. Wir unterhielten uns und Simone las den kurzen Einstieg vor, den ich geschrieben hatte. Welch ein Glück wir hatten. Meine "Lena", die natürlich in der Wirklichkeit außerhalb des entstehenden Buches ganz anders heißt, ihre Schwester, deren Augen so schön waren, wie der See, und der Bruder waren nette, gebildete junge Leute, die der Angelegenheit wohlwollend gegenüber standen.
Und hier nun: Der Anfang von "Das Mädchen mit den goldenen Haaren".

Nennt mich Lena. Ich bin das Mädchen mit den goldenen Haaren.
Die Freunde sagen, ich solle meine Traurigkeit ablegen. Aber meine Traurigkeit ist kein Kleid. Sie ist mir zur Haut geworden. Zöge ich sie aus, auch zöge ich sie aus, ich würde sterben, würde in Maries Arme fallen, wieder, – im Irgendwo, im Anderen.

Sie hätte, erzählte sie mir spät, schon den ganzen Abend beobachtet, den ganzen vollmondbeschienenen Abend, als der See in unwirklich kitischiger Mondenpracht zwischen den Bergen lag, der große, silberne, wellenschlagende Gardasee. Da hätte sie mit sich gerungen, mich dann aber – sie hätte anders nicht können – mich angesprochen.
"Ich bin Marie", hat sie gesagt. Um mein Gesicht, so erzählte sie mir zu jenem späten Zeitpunkt, hätte keine Regung gezeigt, und geschwiegen habe ich, aber meine Augen hätten ganz ihr blaue Helligkeit verloren und wären schwarz geworden, wie der See, wenn zur Nacht nicht der Vollmond scheint.
Lange habe ich geschwiegen, damals. Daran erinnere ich mich, wie ich mich an alles erinnere, seit sie mich ansprach. An alles. Und das Mädchen da vor mir habe ich angesehen, das Mädchen, das nun schwieg, wie ich und das keine besondere Erwartung zeigte – nur eine, die ganz allgemein war und ein Lauern, eine milde Erregtheit, eine die nichts zu tun hatte mit mir, wie ich instinktiv spürte, sondern mit dem Leben, wie ich später lernte.
Marie wollte alles Leben umarmen, sich in den Leib drücken. Alles Leben, dessen sie habhaft werden konnte.
Ich gehe fort. Ich verlasse Hamburg. Ich ziehe in die andere große Stadt, jene Stadt, die Marie nicht fern war und nicht nah kam.

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