In diesen Tagen, da sie in Syrien die Überreste ermordeter Regimegegner suchen und manchmal auch, alptraumhaft entstellt, finden, kann man zwar noch keine genaue Statistik haben, aber in etwa schätzen, dass der Herr Baschar al-Assad zwischen 2011 und seiner Flucht in Putins Arme rund 200.000 seiner Landleute ermorden hat lassen. Die große Mehrzahl waren keine Kämpfer irgendwelcher bewaffneter Gruppen, sondern einfach nur Bürger/innen, die auf die Schwarzen Listen des Regimes gesetzt wurden und danach in einem der Foltergefängnisse verschwanden. Das waren Orte eines Schreckens, der so schlimm war, dass es schwierig ist, ihn in Worte zu fassen. Dort wurde vergewaltigt, verstümmelt und zu jedem anderen Horror aus den schlimmsten Tiefen des Sadismus gegriffen.
Was Assad und seine Bande verbrochen haben, ist um keinen Deut weniger schlimm als das, was der IS oder die Taliban verbrochen haben und immer noch verbrechen. Und mir wird körperlich übel, wenn ich an all die europäischen Politiker denke, die dem Monster Assad die Hände geschüttelt haben, mit ihm Deals abschlossen haben oder welche abschließen wollten. Und erst recht übel wird mir, wenn mir wieder all die innerlich verwahrlosten Menschen, oft genug „Linke“ oder „Liberale“, einfallen, die fast schwärmerisch vom „Frieden“ und von der „Toleranz“ fantasieren, die in Syrien vor dem Bürgerkrieg geherrscht hätten. Dass auch extreme Reche wie die FPÖ große Freunde des baathistischen Horrorregimes waren, versteht sich da schon von selbst.
Und so oft, bis zum heutigen Tag, kommen Rechtfertigungen für die Hölle auf Erden, die Syrien in Wahrheit war. Das sei schon schlimm, so schreiben und sagen sie dann, die großen Freunde von Fortschritt und irgendwelchen behaupteten westlichen Werten, aber immerhin habe Assad die bösen Islamisten niedergehalten, und wo gehobelt werde, da fielen halt auch Späne, das sei unschön, aber leider notwendig gewesen. Und jetzt, so raunen sie, würde es erst richtig schlimm werden, denn jetzt kämen die echten Barbaren an die Macht, also die mit ihren komischen Bärten, die so unheimlich anders sind.
Keiner dieser Freunde des angeblichen Verteidigers des Säkularismus Assad verlor ein Wort darüber, dass Assad die Trennung von Staat und Religion längst aufgehoben hatte und in Syrien seit jeher die Scharia die Grundlage der Gesetzgebung war.
Das wusstet ihr nicht? Kein Wunder, es war war ja auch fast nie zu lesen oder zu hören von einem der tausenden Selfmade-Expert/innen für den Nahen Osten, für Religionswissenschaft und Arabistik.
Wie so vieles andere war der Säkularismus der syrischen Baathisten ein Märchen aus längst vergangenen Zeiten. Das bedeutet nicht, die Islamisten, die jetzt die entscheidenden Player in Syrien sind, wären harmlos. Sind sie nicht, waren sie nie. Sie sind eine politische Pest, die das Leben aller dort, wo sie herrschen, schlechter machen. Merkt ihr was? Man kann tatsächlich die Assad-Mörderdiktatur schlecht finden und gleichzeitig den Islamismus. Das geht wirklich, ihr solltet es mal versuchen! Aus dem binären Denken, das noch dazu auf mangelhaften Informationen beruht, auszubrechen, macht nämlich klüger und ist auch hilfreich dabei, menschlich zu bleiben.
Und überhaupt, dieser Islamismus! Kommt plötzlich aus irgendwelchen Höhlen oder von irgendwelchen Bergen gekrochen und jetzt müssen wir die „Zivilisation“ gegen ihn verteidigen, gell? So ist es natürlich nicht. Der Islamismus ist ein Ei, dass wir selbst gelegt haben, und unser Erschrecken über das, was daraus geschlüpft ist, ist verlogen. Was ist historisch passiert? Der Westen, allen voran die USA, haben mit Nachdruck jeden „König“ und dschihadistischen Halsabschneider finanziert, der versprach, den „Kommunisten“ das Leben schwer und die Geschäfte westlicher Konzerne leicht zu machen. Die Sowjetunion hat derweil diverse Diktaturen finanziert, die Jahrzehntelang in ihren Staaten alles, was links oder liberal war, verfolgten und ausrotteten. Sogar Israel mischte ein bisschen mit und dachte, es wäre sicherheitspolitisches 4-D-Schach, wenn die Nachbarstaaten in Sektenkriegen versinken würden statt stabile Verhältnisse und damit auch Armeen, die Israel angreifen könnten, zu haben. Und Europas schrumpfende Mittelmächte waren natürlich auch mit dabei, von deutscher Kumpanei mit den iranischen Mullahs und alten arabischen Verbündeten aus der NS-Zeit hin zu Frankreichs politischen Verwüstungen Nordafrikas.
Was demokratisch war, was progressiv war, was gar links war wurde in der ganzen islamischen Welt unter massiver westlicher und sowjetischer Anfeuerung ausgemerzt. Als man irgendwann umzudenken begann, wie etwa die USA mit ihren Versuchen des demokratischen Nation Building im Irak und in Afghanistan, war es zu spät. Die Generation X der islamischen Welt fühlte sich orientierungslos, verraten und war dennoch, wie jede Generation, der Ansicht, nun wäre es aber Zeit, dass sie mal zum Zug komme und andere beherrschen dürfe, und was sich da anbot, als alles andere tot oder diskreditiert war, war der Gottesstaat. Es gibt Hinweise darauf, dass die muslimische Generation Z wieder weniger Lust auf Allah und Scharia haben könnte als meine muslimischen Altersgenossen, aber selbst wenn das stimmte, wird es noch dauern, bis sich da was bewegt.
Ich beobachte, entsetzt und traurig, wie immer mehr Menschen, von denen ich mir besseres erwartet hätte, mit einer scheinbaren Naivität einer Kulturkriegspropaganda auf den Leim gehen, die darauf schließen lässt, dass man halt in Wahrheit auch ganz dringend „das Andere“ braucht, gegen das man „zusammenstehen“ kann, weil man eben auch nur einer dieser Zusammensteher ist, der den Mief der Gemeinschaft sucht.
Leander Sukov
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