Kramp-Karrenbauers politische Qualitäten wird man erst beurteilen können, wenn sie in Regierungsverantwortung agiert hat. Sie kommt, das darf nicht vergessen werden, als Politikerin aus einem Bundesland, das der Stadt Frankfurt am Main in der Bevölkerungszahl entspricht. Sie hat aus der Erfahrung in der saarländischen Abgeschiedenheit die CDU übernommen und sie muss dort die auseinanderdriftenden Flügel zusammenhalten. Auch das ist eine in der CDU eher ungewohnte Aufgabe. Jedenfalls in der jetzigen Dramatik. Zwischen dem in der Wolle gefärbten Demokraten Ruprecht Polenz und dem sogenannten Wertkonservativen Maaßen gibt es wenig Berührungspunkte. Vielleicht sogar nur das Parteibuch. Und es ist ja nicht eine vereinzelte Paarung. Die CDU ist unter dem Druck der Rechtsradikalen aus der AfD in Teilen dabei nach rechts außen zu driften. Dabei hat AKK nicht immer souverän und clever agiert. Aber immerhin hat sie agiert. Um in Fettnäpfchen zu treten, muss man erstmal die Traute haben einen Schritt zu machen. Man wird abwarten müssen.
Viel verheerender für Europa ist die Wahl von Ursula von der Leyen zur Kommissionschefin. Wenn man mit Spitzenkandidaten in den Wahlkampf geht und so suggeriert, es ginge hier quasi um die europäische Kanzlerschaft, dann aber Ursula-aus-der-Kiste kommt und wiederum die europäischen Staatschefs die Entscheidung vorgeben, dann führt man die europäische Demokratie ad absurdum und das Parlament am Nasenring durch die Arena. Es ist verständlich aus Sicht von Merkel, dass sie das Spiel mitgemacht hat. Sie brauchte Kramp-Karrenbauer im Kabinett. AKK ist die Parteivorsitzende, aber kann nur im Koalitionsausschuss an der Debatte teilnehmen – ein merkwürdiger Zustand. Von der Leyen nach Europa zu schicken, hat einen Kabinettssessel freigemacht, ohne einen Parteifreund oder eine Parteifreundin entlassen zu müssen.
Tatsache ist aber auch, dass sich AKK nun bewähren muss, und zwar im Sinne der CDU und ihrer Wählerschaft. Die Linke und DIE LINKE vergessen immer wieder in politischen Diskussionen und bei den eigenen Strategiedebatten die Lage auch aus dem Blickwinkel des Gegners zu beurteilen. Und aus diesem Blickwinkel, waren die Entscheidungen notwendig. Ob AKK die Leistungen bringt, die es braucht, um Merkel nachzufolgen, wird man sehen.
Die LINKE müsste zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in angesichts der eigenen Situation für die Fortsetzung der Großen Koalition sein. Sie kann es aber nicht sagen, weil ihre Wählerschaft Strategie erwartet, wo es um Taktik geht. Taktisch kann die LINKE ohne Spitzenteam und ohne die Wunden, die die innere Auseinandersetzung geschlagen hat, nicht in einen Wahlkampf gehen, aus dem sie mit vielleicht sogar ausgebautem Stimmenanteil hervorgeht. Vorgesehen ist die Wahl des Spitzenduos erst auf dem Herbstparteitag. Und die Partei sollte, flügelumfassend, alles dafür tun, gestärkt und zusammengerückt, aus dem Parteitag wieder hinauszukommen. Die LINKE hat große politische Talente, die sich, wenn man erfolgreich bei der Bundestagswahl antreten will nicht drücken dürfen. Eines dieser Talente ist Janine Wissler, die Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag. So, wie die CDU in Hinblick auf die Nach-Merkel-Zeit hadert, hadert die LINKE angesichts der Zeit nach Wagenknecht. Und mit ihr geht es freilich nicht weiter, außer man will, dass die Partei zerrissen wird.
Die SPD ist völlig ratlos. Sie hat auch, wenn man vom Juso-Vorsitzenden und der Schleswiger Bürgermeisterin absieht keine politischen Talente, die den Karren aus dem Dreck fahren könnten. Da reicht die Bedächtigkeit des niedersächsischen Ministerpräsidenten nicht, da reicht nicht die Kühle und Sachlichkeit von Manu Dreyer. Und schon gar nicht kommt das Duo Lauterbach und Scheer. So sehr beide sich Lorbeeren in der Parlamentsarbeit verdient haben – um die Partei zu führen und wieder auf den Weg zu bringen, braucht es andere Kaliber. Auch solche, die zuspitzen und kontrovers debattieren können. Vielleicht wären der Juso-Vorsitzende Kevin Kühner und Simone Lange kein schlechtes Duo. Übrigens sollte die LINKE hoffen bis dahin ihren Laden geeint und eine ebenso agitationserfahrene, wie auch integrative Spitze in Parteiführung, Spitzenkandidatur und Fraktionsführung zu haben. Sonst würde, bei einer nach links blinkenden SPD die LINKE in den Straßengraben gedrückt werden.
Die einzige der vier Parteienlager CDU/CSU, SPD, LINKE und Grüne, die sofort den Bruck der Großen Koalition wollen sollten, sind die Grünen. Sie sind auf der Höhe der Zustimmung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist auch ein grüner Kanzler, oder eine grüne Kanzlerin, denkbar. Das muss nicht so bleiben, wenn sich die anderen drei zum Wahlkampf aufgestellt haben. Wenn also bei der CDU die Kandidatin oder der Kandidat bekannt ist, der Merkel folgt, wenn die SPD eine neue Partei und Fraktionsspitze hat und damit auch die Spitzenkandidaten feststehen, und das Gleiche auch bei der LINKEN erreicht ist. Denn natürlich haben die Grünen auch eine Achillesferse: Sie sind zugleich im Autoland Baden-Württemberg in der Regierung und profitieren ohne Grundlage von der Friday-for-Future-Bewegung in Deutschland, sie sind als Koalitionspartner in Hamburg für das Vorgehen der Polizei beim G20-Gipfel mitverantwortlich und wollen zugleich Bürgerrechtspartei sein. Da sind Abbruchkanten vorprogrammiert, wenn die Konkurrenz in der Lage ist, die Meißel auch anzusetzen und jemanden zu haben, der den Hammer und nicht nur das Hämmerchen schwingt.
Die jetzige Rochade Berlin-Brüssel sollte also SPD und LINKE verdeutlichen, dass die Selbstfindung beschleunigt werden muss, sehr beschleunigt. Noch sind zwar die Umfragen so, dass es eine hauchdünne rot-rot-grüne Mehrheit geben kann, aber, wenn man nicht endlich zur inneren Ruhe und äußeren Kampfkraft kommt, wird die nächste Regierung mit Sicherheit schwarz-grün sein, weil die Arithmetik es erzwingt. Nicht mal die Chance auf einen grundlegenden Wechsel bliebe dann. Und den sollten beide, LINKE und SPD wollen sollen. „Jetzt mal Butter bei die Fische“, sagt der Norddeutsche in solchen Situationen. Denn sonst wird das schönste Essen flau auf dem Teller liegen.
Foto: Tobias Koch, Wikipedia-Bundestagsprojekt
Leander Sukov
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