Das Mainfranken Theater gab „In den Alpen“ von Elfriede Jelinek. Und diese Aufführung erklomm Hügel und Berge mit Leichtigkeit.
Die leider aus der Mode geratenen Begriffe „Verve“ und „Esprit“ beschreiben als Substantive, also als Substanzträger, genau das, was hier über den Bühnenrand hinausgespielt worden wäre, hätte es einen gegeben. Dass es keinen gab – vielleicht war das jenes Fehlelement, welches die Aufführung so unmittelbar, so abstandslos machte, dass es eine Freude war.
Worum geht es? Am 11. November 2000, also in jahrestagsträchtiger Nähe zur Würzburger Premiere des Stückes, geriet in einem Tunnel die Gletscherbahn Kaprun 2 in Brand. Obwohl es 155 Tote gab, obwohl eine ausreichende Anzahl an Indizien dafür sprach, dass Profitgier und Kostenscheu zum Unglück führten, gab es keine Verurteilungen. Der vorsitzende Richter berief sich auf Gott, der für einige Minuten das Licht im Tunnel hatte erlöschen lassen. Strafanzeigen der Staatsanwaltschaft im deutschen Heilbronn konnten die österreichischen Gerichte nicht überzeugen. Es blieb beim Freispruch. (Weiterführende Informationen: Die Katastrophe in Wikipedia)
Elfriede Jelinek verwebt das Unglück mit der großdeutschen Vergangenheit. Die Nobelpreisträgerin schreibt dazu: „Die Geschichte des Alpinismus seit dessen Beginn ist auch eine Geschichte des Antisemitismus. Juden wurden aus allen Sektionen des Alpenvereins und der Wandervogelbewegung schon sehr früh, Anfang der zwanziger Jahre, ausgeschlossen und mussten ihre eigene Sektion „Donauland“ gründen. Die „reinen“ Berge dürfen von den ewigen „Bewohnern der Ebene“, die weder für das Reine noch für die Herausforderung des Hehren, Hohen gerüstet sind, niemals angetastet (soll heißen: beschmutzt) werden. Diesen ewigen Ausschluss habe ich durch Einschübe aus einem der wahrscheinlich berühmtesten deutschsprachigen Prosatexte der Nachkriegsliteratur, Paul Celans (danke für die Abdruckerlaubnis, Suhrkamp Verlag!) „Gespräch im Gebirg“ zu fassen versucht.“
Die verwiesenen und doch verbrannten Juden erscheinen gegen Ende des Stücks in Form eines älteren Mannes, dem, wie zu erwarten, selbst noch von den Leichen derer, denen die Gaudi, zu der sie auf dem Weg waren, im Tunnel in Rauch aufging, der blanke Antisemitismus entgegenschlägt.
Mit Verve und Esprit also hat die Crew dieser Aufführung das Stück Jelineks umgesetzt. Eine gute, konzentrierte und konzentrierende Regie (Tamó Gvenetadze) hat den guten, ja mehr als guten Schauspielenden den Aktionsraum gelassen, den Theaterspielen braucht. Gut waren alle: Nils David Bannert, Nina Mohr und Georg Zeises, Laura Storz aber, die eine der beiden toten Personen – oder sind es doch Gruppen? –, die gleich zu Anfang auf der Bühne sind, spielt, ist ein klein wenig grandioser. Das mag an ihrer Rolle liegen, an den Dialogen und den Interaktionen. Sie spielt losgelöst, losgelassen, frei agierend.
Auch das Bühnenbild, für das Anna Wörl verantwortlich zeichnet, war gelungen. Die Befürchtungen, die ich hatte, lösten sich schon in Luft auf, als ich den Aufführungsort betrat. Das lag – es wurde ja noch nicht gespielt – am Setup der Bühne. Zu der auch eine gute Beleuchtung gehört (es musste ja gewittern, es musste ja dunkel werden, und dann nur mit dem Licht ein neuer Raum geschaffen), für die Anna Vakhovska sorgte.
Noch ist ja das MFT nicht Staatstheater, aber einen Staat mit seinem Theater machen, das kann Würzburg schon jetzt.
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Leander Sukov
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