Tilman Tarach hat ein bemerkenswertes und – wann kann man das schon einmal mit soviel Enthusiasmus sagen, wie in diesem Falle – dringend notwendiges Buch geschrieben: Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus. Begleitet wird Tarachs Text von einem Geleitwort Anetta Kahanes.
Ich, der ich in einem lutherisch-evangelischen Umfeld aufgewachsen bin, kann mich an die Diskussionen gut erinnern, die ich zu meiner Zivildienstzeit mit den beiden Pastoren der St.-Martins-Gemeinde in Hamburg geführt habe. Und geführt habe ich sie nicht etwa, weil auf den, durchaus inhaltlichen, Besprechungen im Gemeindehaus, der Antisemitismus von den Theologen eingebracht wurde, sondern weil ich Fragen hatte, und manchmal auch Antworten. Allerdings Antworten von der Art der Fragen: Unerwünschte.
So wie mir, wird es vielen anderen auch gehen. Über die Zeiten haben es beide großen christlichen Glaubensrichtungen verstanden ihren eigenen Antisemitismus zu einer abgeschlossenen historischen Größe umzudeuten, die, wie von Zauberhand, nicht in die Gegenwart hineinlangt, während es die anderen historischen Linien tun und tun sollen.
Das, übrigens gut ausgestattete Buch (Sach- und Personenregister fehlen nicht, eine Tatsache, die außerhalb akademischer Veröffentlichungen durchaus einen Mitteilungscharakter hat), gibt viel „an die Hand“ um das Gefühl der antisemitischen Injektion in den gesellschaftlichen Blutkreislauf durch die Werkzeuge der christlichen Konfessionen zu einer fundierten Erkenntnis werden zu lassen. Der Verdienst kann gar nicht hochgenug eingeschätzt werden.
Auf Seite 137 erwähnt Tarach Conrad Gröber, Erzbischof von Freiburg und überaus nazifreundlich. Tarach schreibt „Er thematisierte die Passion Christi und die gottesmörderischen Juden, um anschließend den Stellenwert des Blutfluchs zu bekräftigen: ‚Über Jerusalem gellt indessen der wahnsinnige, aber wahrsagende Selbstfluch der Juden: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder! Der Fluch hat sich furchtbar erfüllt. Bis auf den heute laufenden Tag‘“.¹ Und weiter schreibt Tarach: „Beim Ulmer Einsatzkommando-Prozess von 1958 bekundete ein Pfarrer auf die Frage, weshalb er nichts gegen die Massenerschießungen unternommen habe, er habe gedacht, den Juden geschehe dies recht …“.
Spätestens mit dem Kapitel „Kindermörder Israel“ gelingt Tilman Tarach der Nachweis, dass im antiisraelischen Antisemitismus palästinensischer Kräfte der christliche Antisemitismus widerhallt. Und schon zuvor, im ersten Kapitel, das „Kinder des Teufels“ überschrieben ist, zeigt der Autor mit nicht wenigen Quellenbeweisen auf, dass die Basis für den christlichen Antisemitismus früh gelegt wurde.
Das es dabei auch gelingt, die Rhetorik der „besorgten Bürger“ in der Rhetorik der nationalsozialistischen Völkermörder wiederzufinden, ist ein, dankenswerter, Nebeneffekt der notwendigen Beweisführung. „Wer weiß“, wird das Julius Streicher, der Herausgeber der nationalsozialistischen Hetzzeitschrift ‚Der Stürmer‘ zititiert, „ob nicht noch einmal die Zeit kommt, da man überhaupt nicht mehr sagen darf, dass Christus von den Juden gekreuzigt worden ist“. (Seite 27).
Ich lege Ihnen also den Erwerb dieses Buches ans Herz. Ich bin davon überzeugt, dass es sich auch für den Unterricht an Schulen eignet und möchte anregen, es zumindest in den Ethik- oder Philosophieunterricht einfließen zu lassen, dort, wo es ihn noch geben mag, auch in den Theologieunterricht. Es ist ein wichtiges Buch. Es sollte befördert werden.
Geleitwort von Anetta Kahane 7. Einleitung 9 1. »Kinder des Teufels« 17 2. »Christusmörder« 27 3. »Gottesmörder« 45 4. Jesus und die konformistische Revolte 55 5. Christentum und Universalismus 59 6. Der Gelbe Fleck 63 7. »Kindermörder« 69 8. »Giftmörder« 83 9. Die »Reinheit des Blutes« 93 10. Der »Ariernachweis« 107 11. Eskalation des christlichen Antisemitismus 119 12. Wesen und Erscheinung des Antisemitismus 123 13. Dialektik des Antisemitismus 129 14. Shoah 135 15. Exkurs: Das Armageddon der »Christlichen Zionisten« 141 16. »Gottesmörder Israel« 143 17. Die Damaskusaffäre 157 18. Juden im Islam 161 19. »Kindermörder Israel« 171 20. Delegierter Antisemitismus 177 21. Die Dynamik der Verleugnung 183 22. Zur Ideologie des Christentums 205.
Bildnachweis 208. Literaturverzeichnis 209. Register der Bibel und Koranstellen 217. Sach, Orts und Personenregister 218.
Tilman Tarach, Teuflische Allmacht. Edition Telok. 224 Seiten, 15,30 Euro. ISBN
¹Gröber wurde übrigens nicht nur nicht angeklagt, nachdem der deutsche Faschismus niedergerungen war; vielmehr machte Freiburg ihn 1947 zum Ehrenbürger „in Anerkennung seiner Verdienste für die Stadt als Mahner und Tröster in schwerster Zeit“. Ich rege dringend an, zu prüfen, ob er noch Ehrenbürger ist und diesen Unsinn gegebenenfalls zu beenden.
Leander Sukov
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