Dieses Lied ist ja nicht für Bojangles oder über ihn. Es ist ein Lied über einen weißen Alkoholiker, ein guter Tänzer wohl, den Jerry Jeff Walker in einem Kleinstadtgefängnis traf. Jedenfalls in der Welt dieses Liedes.
Und wenn es schon hier nicht über Bojangles ist ist, dann kann dieses Lied vielleicht ein wenig, nicht Wort für Wort, nein, nur ein wenig, windhauchig, so nahe wie der Tau dem Regen ist, über meinen ganz vergangenen Freund Rainer W. sein. Der hat mich geliebt, wie kein anderer Mann mich je geliebt hat und ich hoffe, er ist nicht vergangen an dieser Liebe. Ich habe viel von ihm gelernt, als er noch in sich war, bei sich, als er nur selten in jene zynische, verzweifelte Schweigsamkeit verfiel, die ganz seines wurde später. Da hatten seine Haare ihre blonde Farbe ganz verloren und waren grau, wie die Worte, die der so wortreiche W. gebrauchte wie Chirurgen ihre Skalpelle. Er ertrank sich und im Versinken hoffte er aufzusteigen über die Wasseroberflache des Lebensmeeres, schwere See. Die Tanten, bei denen er, der homosexuelle, der nicht deshalb, sondern aus allen denkbaren Gründen verletzliche und ohne jeden Grund immer wieder verletzte W., aufwuchs. Die politische Arbeit in der Studentenbewegung der siebziger Jahre, die Vorurteile seiner Genossen gegen ihn, den Schwulen, diese Flucht in die Notwendigkeiten des Kampfes um eine bessere Welt. Er ist an allem vergangen, an sich, an uns, an mir.
Als ich vor Jahren im Taxi durch Hamburg fuhr, da sah ich ihn. Wie er, in jeder Hand eine Topfpflanze, an der Alster entlang nach St. Georg ging. Da wohnte er, glaube ich. Ich lies den Fahrer nicht anhalten, weil ich mich vor dem Schmerz fürchtete, den eine erneute Begegnung mit mir ihm geben könnte. Ich konnte ihn lange sehen. Auf dem Ballindamm herrschte dichter Verkehr, wir standen im Stau. W. setzte sich auf eine Bank uns sah den Schiffen auf der Alster zu.
Später, vor ein paar Jahren, fand ich eine Traueranzeige auf einem virtuellen Friedhof im Netz, einem dieser Erinnungsorte. Ich habe W. geliebt, seine Art der Liebe konnte ich nicht erwidern. Er hatte Hunger, ich hatte kein Mahl für ihn.
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