In diesem kurzen Text geht es gar nicht um Dylan, sondern um Adorno und Marx, klassische Musik und die Cesarians und die Gemälde meiner Mutter.
Meine Mutter hat nämlich gemalt. Nur für sich und nicht schlecht. Sie hat die Bilder nicht verkauft, hatte es auch nicht vor, sondern hat sie manchmal mir geschenkt und manchmal andern. Die meisten sind verschollen. Ihre Bilder hatten keinen Tauschwert, sie waren nicht warenförmig, sie sind nicht gehandelt worden, sie hatten vielleicht einen Gebrauchswert: Für meine Mutter und ihre Erholung. Nun ist das so eine Sache mit dem Gebrauchswert. Denn wenn der Gebrauchswert für den Produzenten höher ist, als der Tauschwert, den er erzielen kann, wird er nicht verkaufen wollen. Kunst aber hat gar keinen Gebrauchswert für den Künstler, der höher ist als der Tauschwert. Denn er hat ja etwas geschaffen, das entweder immer wieder teilbar ist oder anderweitig wiederholbar. Er braucht weder die Tondichtung, noch die Normseiten oder das Bild, um Tondichtung, Normseiten oder ein Bild herzustellen. Er möchte aber gerne gut essen, ordentlich wohnen und nicht frieren. Er wird also verkaufen. Meistens an Leute, die mit der Ware handeln und Profite erzielen. Das ist nicht schlimm, sondern das Wirtschaftssystem. Wenn man es falsch findet, und ich finde es falsch, muss man sich (be)mühen, das System zu ändern.
Die Cesarians gehören zu meinen Lieblingsgruppen, sie kommen aus London und machen interessante und gut komponierte Musikstücke. Die Cesarians sind eher Insidern bekannt. Sie machen ohne Frage populäre Musik, der anständige deutsche Strukturkonservative nennt es U-Musik. Sie verdienen damit Geld, vermutlich nicht sehr viel. Ihre Kunst hat einen Tauschwert. Sie ist ein Industrieprodukt, wie alle Kunst, die zu Markte getragen wird. Jedenfalls im Sinne Adornos. Sie wird aber nicht gemacht, weil eine Industrie es will, sondern weil Künstler sie machen wollen. Die Kompositionen sind keine Auftragsarbeiten. Da ist der einzige Unterschied im Sinne Adornos zwischen der einen und der anderen Kunst. Aber die Auftragskunst verliert ihren Kunstcharakter nicht wegen des Auftrags. Das kann man sehr schön an Tschaikowsky Symphonie 1812 erkennen, der man schwerlich absprechen kann ein Kunstwerk zu sein, obwohl sie ein Auftragswerk war. Auch für Mozarts Requiem mag das gelten. Der Fall ist umstritten.
Maria Callas war ungleich berühmter als es die Cesarians sind. Und sie ist es noch. Sie ist eine Ikone. Ihre Aufnahmen haben immer noch einen hohen Tauschwert. Aber sie macht keine Pop-Musik, sondern klassische. Da spitzt der Strukturkonservative die Lippen, pfeift sich einen (vermutlich aus dem Vogelfänger) und sagt: „Aha, E-Musik“. Das heißt ernste Musik. Warum weiß man nicht. Ich glaube das ist nicht ernstgemeint. Nur muss ja dem Strukturkonservativen in seiner Erscheinungsform als Intellektueller der Unterschied erhalten bleiben zu denen, die halt die Cesarians hören. In Wahrheit ist es unmöglich ein Intellektueller und zugleich ein Strukturkonservativer zu sein. Denn wie soll man sich vom normativen Denken lösen (Alfred Weber), wenn man zugleich in den Strukturen feststeckt, wie ein Kettensträfling in seiner Sitzreihe auf der Galeere?
Nicht erst seit der Dylan’schen Erwählung gibt es den Versuch auf Verbiegen und Erbrechen einen Unterschied zwischen Pop und Nicht-Pop, zwischen E und U ableiten zu können. Es mag nicht recht gelingen, auch wenn sich der eine und die andere wirklich Mühe geben der Leser- oder Hörerschaft ein X für ein U vorzumachen. Könnte man Haydn fragen, so würde er den Vertretern der Grenzziehung einen Vogel zeigen: Er hat Volksmusik, also die Pop-Musik der damaligen Zeit, in großen Mengen in sein Werk integriert, er hat gesamplet.
Adorno hat die Unterscheidung auch versucht; auf seine Art. Es ging ihm nicht um E und U, sondern um die Warenförmigkeit. Die Idee war gut. Meiner Meinung nach ist es ihm aber nicht gelungen der Marx’schen Idee von Gebrauchswert und Tauschwert eine besondere Form in der Kunst zur Seite zu stellen. Die Adorno’sche Teilung in Massencharakter und einem verbleibenden Rest authentischer bürgerlicher Kunst scheint mir falsch zu sein. Die Aufklärung ist handelbar. Auch Kunst, die aufklärerisch in also diesem Sinne ist, unterscheidet sich nicht in ihrem Charakter als handelbares Werk, sondern nur in ihrem inneren Charakter. Letztlich unterscheidet das Werk Pinchons und Danellas die Qualität und der Aufbau, vielleicht die Tief und die Setzung, aber nicht die Handelbarkeit. Das gilt auch für die Cesarians, Maria Callas oder Justin Bieber.
Künstler wollen leben. Das nutzt die Kunstindustrie. Mit der Kunst an sich hat das nichts zu tun. Wohl aber mit der Industrie. Das Wesen des Kapitalismus ist die Profitmaximierung. Und da ist es einerlei, ob es es sich um Cesarians oder Maria Callas handelt, es ist sogar egal, ob es sich um Adorno oder Precht handelt. Nur wenn man auf die Art Werke schafft, in der es meine Mutter getan hat, entzieht man sich dem. Aber sie musste und wollte nicht von der Kunst leben (obwohl sie es vielleicht hätte können können). Es bleibt mir die Erkenntnis: Man kann die Kunst nicht ihres Erfolges zeihen und ihr die kapitalistische Verwertung vorwerfen, wenn sie doch gar nicht anders kann, als kapitalistisch verwertbar zu sein. Adorno hin und Horkheimer her.
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