Die Halbwesen.

by | Mrz 7, 2014 | Wort & Freiheit | 0 comments

Bundesarchiv_Bild_183-74237-004,_KZ_Auschwitz-Birkenau,_alte_Frau_und_KinderSchon die Wortwahl, diese Fehlleitung des Zuhörenden, diese, ich unterstelle allerdings Absicht, schöngeistige Sprache, die ihr dann nichts anderes ist, als die Fackel mit der sie das Haus der Werte anstecken will. Natürlich ist von Lewitscharoff die Rede und von ihrer Ansprache an ein Publikum, welches – wer erwartet schon von einer wie ihr, das, was dann kam – ihr applaudierte und nicht entgegenrief, was gerufen hätte werden sollen.
"Machination", das Wort ist allenthalben im Text zu entdecken. Da liegt die gewollte Fehlinterpretation. Denn wer weiß schon, was dieses Wort bedeutet, das so schön nach Künstlichkeit, Produktion und Maschine klingt und gar nichts damit zu tun hat, sondern bedeutet, eine unlautere, verdeckte Handlung um des eigenen Vorteils willen zu begehen. Sie hätte das so sagen können, hätte sagen können: Die Eltern, die lesbischen Paare, die sich Kinder machen lassen durch einen Eingriff von dritter Seite, begehen eine unlautere, verdeckte, klandestine Handlung, nur zu ihrem eigenen Vorteil. Dann allerdings hätte sie schon im Saal mit Widerspruch rechnen können. Da klingt Machination doch eleganter durch den Raum.
Was uns da, von der ersten, bis zur letzten Zeile, aufgesagt wird, die die große Erzählung vom schönen Gestern, in dem erlaubt war, was gefrommt hat, in dem es noch mit rechten, biologischen Dingen zuging, in dem Gott regierte und den Menschen Verantwortung abnahm, in dem es also noch eine Obrigkeit gab und die Wesen, ganze Menschen allesamt, die unter ihr ein Leben führten, das fern war von der Bürde der Eigenverantwortlichkeit, der Solidargemeinschaft. Ein Leben, in dem Schicksal hingenommen wurde, gottgegeben. Und diese Zeit, bitte schön, möge doch wiederkommen, eine Zeit, in der Väter sich nicht selber henkten, in der Mütter ihren Platz kannten und Gott noch nicht tot war.
Eine Welt war das, in der Halbwesen nicht das reagenzglasgebrochene Licht der Welt erblicken, in der Lesben und Schwule wussten, dass es sich für sie nicht gehörte, solcher Art Nachwuchs zu züchten und in der es, eine leichte Nummer gegenüber dieser Verderbtheit des Jetzt, allenfalls die Arierzuchtanstalten der Nazis gab.
Halbwesen, blonde Frauen, blonde Männer, Lebensborn, Gott über allen und mit uns. All das schwebt im Subtext der lewitscharoffschen Rede, wird in vier, fünf Absätzen nach oben gewirbelt, ergibt ein Bild des Gewässers, in dem gefischt wird. Lasst uns über Halbwesen reden in der Zeit der Zuchtanstalten. Lasst uns reden über Kinder in Ausschwitz, über die Halbwesen, nicht Mensch, eher Ratte, im Blick ihrer Mörder, lasst uns über Halbwesen reden. Weil angesichts dieser Rede so darüber geredet werden muss, weil man gar keinen anderen Weg hat, wenn man nicht zulassen will, dass sich der gefährliche Unsinn verbreitet, den die Lewitscharoff in ihrer großen Not abgelassen hat.

Bild: Bundesarchiv, Bild 183-74237-004 / CC-BY-SA

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