Einem Bericht der Tageschau von gestern Abend zur Folge, beträgt allein für das Bundesland Niedersachsen der langfristige Fehlbetrag bei den Rücklagen in die Pensionskassen 130 Milliarden Euro. Die Pensionskassen sind für die Zahlung der Beamtenpensionen zuständig. Nun ist es natürlich nicht so, dass dieser Betrag in absehbarer Zeit auf einmal fällig wird. Vielmehr ist er ja nach und nach auszuzahlen. Allerdings wächst er immer weiter, auch wenn die Zahl der Beamten zurück geht.
Zugleich haben wir eine unerträgliche Schieflage in der Rentenversicherung. Die jetzt offenbarten Kürzungen, welche durch die Bundesregierung angestrebt werden, machen eine armutslose Rentenzeit im Prinzip unmöglich. Die sogenannte Zuschussrente ist das Eingeständnis, die Rentenfinanzierung nicht an den technologischen Fortschritt angepasst zu haben. Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu:
„Was ist die Zuschussrente?
Die Arbeitsministerin will damit das Altersgeld auf bis zu 850 Euro aufstocken, wenn der Versicherte 30 (ab 2023: 35) Jahre Beiträge gezahlt, Kinder großgezogen oder Angehörige gepflegt hat. Gemessen an den 688 Euro an durchschnittlicher Grundsicherung gäbe es also etwa 160 Euro oben drauf. Zuschussrente soll aber nur erhalten, wer von 2019 an mindestens fünf Jahre auch privat oder betrieblich zusätzlich vorgesorgt hat. Diese Latte wird immer höher gelegt, 2049 müssen Zuschuss-Rentner dann 35 Jahre zusätzlich vorgesorgt haben. Solche Privat- oder Betriebsrenten will von der Leyen nicht auf die gesetzliche Rente und Zuschussrente anrechnen.“ (SZ 4.9.2012)
Ich bin kein Freund von Verelendungstheorien. Ich bin also auch kein Freund davon, dass der bürgerlicher Staat droht seinen Mittelstand zu verlieren. Die Geschichte kennt nur ausgesprochen wenige Ereignisse, in denen es einen positiven Versuch zur Veränderung auf der Basis allgemeinen Elends gegeben hat. Die Bauernkriege, die erste massive demokratische Erhebung in Europa, fanden zu einem Zeitpunkt statt, als das Elend, welches durch die Pest und die ihr nachfolgenden Hungersnöte überwunden war. Gleichwohl hatten Missernten immer mehr Bauern in die Leibeigenschaft geführt, während der aufkommende Protestantismus eine neue ideologische Grundlage zu bilden schien. Es kam eine Stärkung des allgemeinen Wohlstandes nach einer längeren relativ friedlichen Phase zusammen mit dem Verlust der eigenen Perspektiven.
Die deutsche Revolution von 1848 fand ebenfalls in der Phase eines relativen Aufschwungs statt, der zusammenfiel mit der Enttäuschung die demokratischen verfassungsmäßigen Rechte nicht zu erhalten, die zwischen den Herrscherhäusern und ihren Untertanen vor den Befreiungskriegen vereinbart waren.
Bei der Revolution von 1918 war nicht eine allgemeine wirtschaftliche Verelendung ausschlaggebend, sondern der Erste Weltkrieg und die mit ihm einhergehende Kriegswirtschaft. Letztlich waren diese revolutionären Versuche dem Auseinanderfallen von Überbau und Unterbau geschuldet, also von der Verfasstheit des Staates und den wirtschaftlichen, technologischen Gegebenheiten.
Nun also droht, meiner Meinung nach, der bürgerliche Staat seine Mittelschicht zu verlieren, weil sie zunehmend verelendet. In den USA leben hunderttausende Menschen in Wohnwagen, Zelten oder PKWs obwohl sie einen oder mehrere Jobs haben, die aber nicht reichen, eine Wohnung zu bezahlen. Eine solche Entwicklung ist auch hier zu erwarten, wenn nichts geschieht.
Die Altersarmut, bei immer längeren Lebenszeiten, führt dazu, dass der verrentete Teil des Mittelstandes, der ein starker wirtschaftlicher Faktor war, ebenfalls verelendet.
Diese Armutsschraube führt in der Folge zu einer nachlassenden Inlandskaufkraft. Das wiederum führt zu einer weiteren Verelendung.
Die Übernahme von Produktion und Dienstleistung durch aufstrebende Staaten wie China, Brasilien und andere, wird zu einer Verlagerung der Exportproduktion führen, also im Inland zu einer weiteren Arbeitslosigkeit. Gleichwohl werden die Unternehmensgewinne natürlich weiter an jene Stellen fließen, an die sie auch jetzt schon gelangen.
Dieses Problem ist durch demoskopisch-regulierende Maßnahmen nicht zu beseitigen. Es kommt vielmehr darauf an, die Inlandsproduktion anzukurbeln und zu verhindern, dass der Mittelstand verloren geht. Mit herkömmlichen Mitteln ist das nicht zu machen.
Es wird nötig sein, sich auf Forderungen aus den siebziger Jahren zu besinnen und sie zu modifizieren. Seinerzeit wurde, vorrangig von der IG Metall, wenn ich mich richtig erinnere, gefordert, eine Maschinensteuer einzuführen, die dazu dienen sollte, die ansteigende technologisch begründete Arbeitslosigkeit gegenzufinanzieren. Hier mag der richtige Weg schon aufgezeigt sein. Wir brauchen eine Koppelung der Sozialausgaben, also der individuellen Transferleistungen, an die wirtschaftliche Prosperität und zwar so, dass Rückgänge auch über einen längeren Zeitraum aufgefangen werden können.
Man wird auch nicht länger auf eine höhere Besteuerung höhere Einkommen verzichten können. Die Steuerlasten für hohe Einkommen sind seit den fünfziger Jahren beständig zurückgegangen, während zugleich die Staatsausgaben gestiegen sind. Das ist eine Politik, die geradewegs zum Auseinanderbrechen der Basis des bürgerlichen Staates führen muss. Diese Politik muss ein Ende finden.
Meine Partei, die DKP und auch große Teile der Gewerkschaften sind aus gute Gründen gegen ein „bedingungsloses Grundeinkommen“. Auch ich war aus diesen Gründen, die ich gleich skizzieren werde dagegen. Ich war auch deshalb dagegen, weil ich davon ausging, dass ein Grundeinkommen von 1000 Euro (damit rechnet es sich am Besten) bei 80 Millionen Empfängern eine Geldmenge von 960 Milliarden Kaufkraft im Jahr schaffen, die fast vollständig in die Konsumption fließen und damit einen inflationären Prozess in Gang setzen könnte. Insbesondere im Bereich der Bedarfe (Grundnahrungsmitteln, Mieten, Verbrauchs- und Energiekosten) und natürlich auch im Bereich der Bedürfnisse, soweit es sich nicht um Luxusnachfrage handelt. Ich halte diese Argumente inzwischen für falsch. Erstens ist die Gefahr einer Deflation bei wegbrechendem Mittelstand ebenso hoch, zweitens ist ja die Frage, ob es nicht ohnehin ein Nachfrageloch in der Höhe eines solchen Grundeinkommens gibt, nicht von der Hand zu weisen.
Die Argumente meiner Partei und von Teilen der Gewerkschaften, sind da schon stichhaltiger: Es bestünde die Gefahr, so wird durchaus stichhaltig argumentiert, dass die Löhne sinken und die indirekten Steuern steigen würden, weil sich der Staat gegenfinanzieren müsste. Aber auch bei diesen Argumenten muss man angesichts der Situation fragen, ob nicht der Versuch durch ausreichende Mindestlöhne (in Luxemburg, das zwar kleiner als Deutschland ist, aber sich wirtschaftlich nicht stark unterscheidet, liegt der Mindestlohn bei ca. 1300 Euro im Monat) und Höchstpreisgesetzgebungen auf Grundbedarfe gegenzusteuern, einen Weg darstellt, eine Massenverelendung zu verhindern. Natürlich müsste ein bedingungsloses Grundeinkommen in genügendem Maße der Inflation angepasst werden. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob nicht doch die negativen Folgen überwiegen würden.
Letztlich wird aber, wenn die Finanzierung der Transferzahlungen nicht aus dem Generationenvertrag herausgenommen wird, eher früher als später, der Zeitpunkt kommen, zu dem es in Deutschland eine reiche Oberschicht mit einer hohen Sparrate gibt und eine Unterschicht, die das Gros der Bevölkerung darstellt, während die Mittelschicht marginalisiert wird. Das kann auch von jenen bürgerlichen Politikern nicht gewollt sein, die sich abseits der neoliberalen Politik verorten, welche zurzeit noch die Oberhand hat.
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