Das Glaubwürdigkeitsproblem

by | Aug 12, 2014 | Wort & Freiheit | 0 comments

Nikolai_Bukharin_1929Es gibt ein Glaubwürdigkeitsproblem innerhalb der gesamten Linken, wenn gleichzeitig die Kritik an der russischen Innenpolitik verhalten ist, die an China gar nicht existent und immer, immer wieder von einzelnen Gruppen und Personen Diktatoren zu Helden oder zumindest zu nützlichen Idioten umlackiert werden, die man verteidigen müsse, weil sie gegen NATO und USA stünden. Wie soll denn geglaubt werden, dass die, die schweigend oder gar unterstützend Pressezensur, Inhaftierung von Gegnern, überhöhte Strafen hinnehmen und relativieren, die Demokratie ernsthaft schützen wollen?
Zur Zeit des noch bestehenden Warschauer Paktes hielt man es dort für nötig tief ins Klo zu greifen und Diktatoren an sich zu binden, die in Afrika z.B. oder in Ostasien ihre Bevölkerung drangsalierten. Das war die Blocklogik: Unser Arschloch oder deren Arschloch. Verheerend wurde die Chose erst, als man sie ideologisch ummantelte. Die Arschlöcher befanden sich plötzlich im antiimperialistischen Kampf, ihre Taten wurden kleingeredet, versachzwangt oder schlichtweg geleugnet. Und Arschlöcher in den originär eigenen Reihen hatte man ja auch noch: Ceaușescu zum Beispiel, den großen Führer, die Leuchte der Menschheit, den irdische Gott, den Auserwählten, das Genie der Karparten. Den Mörder. Er genoss allerdings auch, das will ich nicht unter den Teppich kehren, im Westen einige Reputation, weil er gelegentlich dem Kreml widersprach und auch nicht mit marschierte, als der sogenannte Prager Frühling zerschlagen wurde. Die Bundesrepublik Deutschland zeichnete ihn mit der Sonderstufe des Großkreuzes aus. Eine seltene Ehre für ausgewählte ausländische Staatsoberhäupter.
Auch Maos China hatte seine Arschlöcher. Nicht nur Mao selbst, sondern z.B. Enver Hoxha, den Anzugsfetischist. Nicht schlecht gelitten war in Peking auch der Schlächter von Kambodscha, Pol Pot – gegen dessen Beseitigung durch Aufständische und die Armee Vietnams protestierte man in Peking heftig.
Die Vermutung das sei im Orkus der Geschichte verschwunden, also dem kollektiven Gedächtnis entfallen ist falsch. Auch die Wahlergebnisse z.B. in den DDR sind in guter Erinnerung. Hier einige Prozentzahlen über die amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse: 1950 lag demnach die Wahlbeteiligung bei 98,53 %, knapp hundert Prozent (99,72) hätten für die Einheitsliste gestimmt. 1986 sollen es dann sogar 99,94 Prozent gewesen sein. Wer um Marx und Engels Willen soll das glauben? Eine Wahlpflicht gab es in der DDR offiziell übrigens nicht. Die Wahlfälschungen sind inzwischen unzweifelhaft festgestellt worden.
Nicht im Orkus der Geschichte verschwunden sind auch die Terrorjahre unter Stalin. Zwischen 1936 und 1938 wurden eineinhalb Millionen Menschen ermordet, darunter tausende Kommunisten. De facto wurde die KPdSU von jenen gesäubert,die die Oktoberrevolution auf Leitungsebenen mitgemacht haben, die Partei wurde entbolschiwikisiert.
Völlig unabhängig davon, wie der Prager Frühling 1968 einzuschätzen ist oder die vorhergegangenen Veränderungen in Ungarn 1956, die zweifelhafte völkerrechtliche Konstruktion, die einen Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes (CSSR 1968) oder der Sowjetunion (Ungarn 1956) legitimieren sollte, trägt nicht.
Das historische Gedächtnis weiter Teile der Bevölkerung ist selbstverständlich mit dem Wissen ausgestattet, das die bürgerliche Geschichtswissenschaft und die bürgerliche Politik hervorgebracht hat, mit jenem, das durch die Medienberichterstattung zugänglich war oder als Saga kolportiert wurde. Dem ist aber nichts entgegensetzbar, weil sich die Geschichtsforschung der sozialistischen Staaten erheblich desavouiert hatte. So wurde bis 1990 aufrechterhalten, dass das Massaker von Katyn durch Truppen der faschistischen deutschen Wehrmacht verübt wurde. Es war allerdings eine Einheit des NKWD, des sowjetischen Geheimdienstes, die auf Anordnung des Zentralkomitees der kommunistischen Partei 4400 Polen ermorden lies. Zu dem wurde selbst in so unverdächtigen Bereichen wie der Forschung über Früh- und Vorgeschichte ein Geheimhaltungskult betrieben, der die Forschungsarbeit erheblich hemmte. Bekannt sind die Verfälschungen von Fotografien, bei denen unliebsame Personen per Retusche aus dem Bild entfernt wurden.
Es hilft auch nicht, auf die guten Absichten, den weltgeschichtlichen Auftrag oder die internationale Lage, die Lage des Klassenkampfes, den Kampf um Fortschritt zu verweisen. Terror bleibt Terror, Unfreiheit bleibt Unfreiheit und Lüge bleibt Lüge.
Der Bruch muss geleistet werden. Nicht der Bruch mit den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, von einer ausbeutungsarmen Gesellschaft oder der Assoziation freier Produzenten. Nein, der Bruch mit den Fehlern der Vergangenheit. Verzichtet werden muss darauf, diese Muster der Vergangenheit auf die Gegenwart anzuwenden. Gegen die Interventionspolitik der USA in Syrien zu sein, heißt weder aus dem dortigen Diktator noch aus seinen Günstlingen gute Leute zu machen, um ein aktuelles Beispiel zu nehmen. Die Heroisierung von Diktatoren, die Entschuldigung der Einschränkung von Freiheitsrechten muss aufhören. Die Bürgerlichen Freiheiten sind eine große Errungenschaft in der Entwicklung der Menschheit. Dass der Oktoberrevolution nicht gelungen ist, dass die Chinesische Revolution nicht einmal versucht hat, diese Rechte dauerhaft zu installieren, ist ein Versäumnis, zu dem die stehen müssen, die eine bessere Welt wollen. Man muss aufhören sich dieses Versäumnis und die daraus resultierenden Verbrechen schön zu reden, sie zu relativieren oder unter anderen Verbrechen verstecken zu wollen.

Foto: Nikolai Bukharin 1929, ermordet 1938

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