Ein Gespräch im fünfzehnten Stock eines Hochhauses am Stadtrand

by | Feb 2, 2013 | Wort & Freiheit | 0 comments

800px-Alleekosmonauten„Möchten Sie einen Kaffee? Ich habe gerade welchen gekocht. Ich kann noch mehr machen, wenn‘s nicht reicht. Ich koch ja immer nur für mich allein. Kaffee, Mittagessen. Immer nur für mich allein. Früher war das anders. Reden wir nicht davon. Reden wir nicht davon. Ein schöner Blick nicht wahr? Man kann bis ganz zu dem Wald sehen. Bis ganz über die Felder hinweg. Im Herbst sehe ich von hier oben den Mähdreschern zu, wie sie den Weizen mähen. Riesige Maschinen. Wie Einfamilienhäuser. Wenn der Wind gut steht, dann hört man sie bis hier herauf. Da sitze ich auf dem kleinen Balkon hier im fünfzehnten Stock und sehe denen zu bei der Arbeit. Bei der Arbeit.
Ich hätte auch noch ein oder zwei Bier im Haus, wenn Sie lieber Bier mögen, als Kaffee. Wasser hab ich nur aus dem Hahn. Der Nachbarsjunge holt für mich ein. Ich bin ja nicht mehr so gut auf den Beinen. Recht wacklig sogar. Recht wacklig. Sie wollen gar nichts trinken? Haben Sie denn keinen Durst? Ich habe mir immer vorgestellt, bei Ihrer vielen Arbeit, müssten Sie stets einen Hunger und einen Durst haben.
Ich habe auf Sie gewartet, seit ich Achtzig war. Seit mehr als acht Jahren habe ich auf Sie gewartet. Aber Sie, Sie sind nicht gekommen bis jetzt. Sie haben mich hier einsam sitzen lassen. Sie haben Ihre Arbeit nicht gut geleistet. Gar nicht gut. Zur Hälfte nur, nur zur Hälfte. Das ist wie gar nicht, verstehen Sie, das ist wie gar nicht. Mich haben Sie hier sitzen und warten und warten lassen. Die ganzen acht Jahre und ich habe im Herbst den Mähmaschinen zugesehen, den riesigen Mähmaschinen. Ich habe gesehen, wie sie stoppten, wenn sie ein Rehkitz überfahren hatten und ich habe mir vorgestellt, das Rehkitz zu sein. Geträumt habe ich davon.
Ich will den Kaffee noch austrinken, dann können wir gehen. Nur einen Moment noch. Jetzt kommt es ja nicht mehr darauf an. Nicht für mich jedenfalls. Für Sie vielleicht schon. Sie haben Sie mir weggenommen und mich hier acht Jahre sitzen lassen und nun soll ich mich sputen, nur soll ich mich eilen. Aber ich spute mich nicht! Erst den Kaffee noch. Dann folge ich Ihnen. Bringen Sie mich zu ihr? Bringen Sie mich wieder zu ihr. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich sie vermisst habe. Sie nicht. Haben Sie schon jemals jemanden vermisst, so richtig vermisst mit dem Körper, mit der Seele, nachts im Bett, morgens am Frühstückstisch. Haben Sie schon jemanden vermisst, wenn Sie etwas Schönes sahen und niemanden mehr hatten, es zu teilen. Nein, sagen Sie nichts. Lügen Sie nicht. Sie kennen das gar nicht. Sie waren immer allein. Immer. Sie wissen nicht, wie das ist, wenn man ganz mit einem anderen Menschen ist, ganz, ganz eng mit dem, wenn man den in sich hat – und dann kommen Sie und nehmen den Menschen fort, nehmen den einem fort.
Ich habe ausgetrunken. Wir können gehen. Ich brauche keinen Mantel, nicht wahr? Ich brauche mich nicht einmal zu erheben. Ich kann hier in dem Sessel im fünfzehnten Stock sitzen bleiben und auf den kleinen Wald sehen, während wir gehen, trotzdem gehen. Zu ihr, wieder zu ihr …“

 

Foto: A.Savin CC-Lizenz 2.5

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