Die deutschsprachige Literaturkategorisierung und -epochenzuordnung ist ein Zwerg, der nurmehr auf tönernen Füßen steht. Es gibt letztlich, wenn man die Kategorien >>und<< den Wandel der Werkzuordnung bedenkt, nichts, was ihre immer stärker defätistische Arbeit stützt. Die Kategorisierung besteht, weil sie besteht, nicht weil sie ein Naturgesetz ist oder sich gar fern ab der gesellschaftlichen Formation begründbar ergibt. Sie lebte aus sich selbst heraus (was eine innere Logik hat und richtig ist) und ist, wie könnte es anders sein, in großen Teilen nicht nur idealistisch (im philosophischen Sinne), sondern auch ideologisch. Anders kann es nicht sein. Denn natürlich ist Kulturpolitik, also auch Literaturpolitik, Bestandteil des bürgerlichen Staates.
Die Einteilung von Literatur in Trivialliteratur, Unterhaltungsliteratur und Hochkultur, kann, um es einschränkend auszudrücken, zu einem qualitativen Erfassungsproblem werden, das quantitative Ursachen hat. Dabei verwende ich den Begriff der Hochliteratur im den Sinne, dass es sich um Literatur handelt, die in Forschung und Lehre positiv bewertet wird. Diese Aufnahme in den Kanon der universitären, positiven, Betrachtungen scheidet sich von Unterhaltungsliteratur. Die Unterhaltungsliteratur muss deshalb nicht von minderem literarischen Wert sein, sie ist nur nicht Teil des Kanons. (Die Trivialliteratur hat eine davon zu unterscheidende Wertigkeit).
Und da liegt das quantitative Problem, das in ein qualitatives umschlagen kann. Die Zahl linker – von marxistischen ganz zu schweigen – Professoren nimmt offensichtlich ab. Das wirkt sich direkt auf die Rezeption von Literatur aus, also darauf, welche Autoren und Bücher in den Kanon der Hochliteratur gelangen, weil die Ästhetiken andere werden >>können<<. Letztlich, das muss ich an dieser Stelle zugeben, liegen mir keine verlässlichen Zahlen über die politische Zusammensetzung der Professorenschaft an den bundesdeutschen Universitäten des Jahres 2013 vor. Allerdings glaube ich auch nicht, dass ich völlig falsch mit der Einschätzung liege, dass die Zahl „linker“ Professoren wesentlich geringer ist, als sie es in der „alten“ Bundesrepublik in den siebziger, achtziger und neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war.
Gab es also bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein noch eine Schaar linker, auch marxistischer, Professoren in allen Bereichen von Geistes- und Gesellschaftswissenschaft, so ist diese Zahl, so behaupte ich, beständig zurückgegangen. Hätte ich Recht, so fehlte also das Korrektiv. Das Feld von Kunst- und Literaturwissenschaft drohte entglitten, weil es immer weniger Hände gäbe, es zu halten. Gleichwohl wäre es völlig vermessen und sektiererisch anzunehmen, dass die Professorenschaft und die Gremien, die die Lehrpläne für die Schulen festlegen, monolithische Ansichten zur Literatur haben. Die haben sie nicht. Aber es werden Tendenzen verstärkt und es fehlt der inhaltliche Streit in der Rezeption.
Durch die Situation in Forschung und Lehre und die Situation der Feuilletons als Meinungsträger, verändert sich die literarische Landschaft zu – aus meiner Sicht – ihrem Nachteil. Denn selbstverständlich gab und gibt es auch in der Linken Wertekanons hinsichtlich der Einordnung von Literatur.
Hacks darf dabei getrost als Beispiel für die Veränderungen im Literaturbetrieb gelten, die seit spätestens 1989 stattgefunden haben. Sein Stück „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ wurde zu einem Welterfolg, es gehörte zeitweise zu den häufigst gespielten Stücken auf BRD-Bühnen. Nach der Wende setzte sozusagen ein Hacks-Rollback durch „den Westen“ ein. Hacks verschwand aus bundesdeutschen Theatern.
Seit einigen Jahren wird – durchaus nicht ohne Erfolg – darum gerungen, das Werk Peter Hacks wieder stärker in den Fokus zu bringen.
Für andere Schriftsteller steht diese Arbeit noch an. Sie ist eine Kernerarbeit, die deshalb freudlos ist, da es sie nur aufgrund eines westzentrierten Rigorismus gibt. Der will nicht nur die Schmuddelkinder des eigenen Landes in die unteren Regalreihen verbannen, sondern die gesamte DDR-Literatur gleich mit.
Schon 1990 hatte der westdeutsche Buchgroßhandel den Buchhandel in der neuerworbenen DDR dazu verdonnert – mehr oder weniger sanft – die DDR-Ausgaben aus den Regalen zu verbannen. Tonnenweise landeten Bücher von DDR-Schriftstellern auf der Müllkippe. Was dort mit dem materiellen Buch begann, setzte sich mit dem Versuch fort, die Autoren gleich mitzuverklappen. Das darf nicht gelingen. Und es darf nicht geschehen, dass dieser Umgang mit Literatur sich auch auf die Hochliteratur, also auf die Rezeption an den Universitäten auswirkt. Wir würden Literatur verlieren.
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