Er zählte der herbeigeeilten Kellnerin den Betrag auf die Hand. Münze für Münze, in einer akkuraten Art, die eine leichte, seichte, eine laue Aggression in mir aufsteigen ließ. Dann erhob er sich, in dem er sich auf dem Tisch abstützte, angelte seine Joppe vom Haken und ging ohne mich weiter zu beachten. Mir war es recht. Er hatte sich ungefragt zu mir an den Tisch gesetzt, hatte sich ein kleines Bier bestellt und, als das Getränk gebracht worden war, begonnen von sich zu erzählen. Auch ich hatte eine S. gekannt, die unweit von hier wohnte. Und auch im Elternhaus meiner S. hatte es ein Schwimmbad im Keller gegeben. Vielleicht war es dasselbe Mädchen. Einen Moment lang war ich versucht gewesen nachzufragen. Und nicht die mögliche Antwort hatte mich zurückschrecken lassen, sondern die Gefahr eine gewissen Verbrüderung mit dem Mann, der mir zuwider war, auch wenn ich nicht recht wusste weshalb. Vielleicht wegen der S., vielleicht weil er mir auf eigentümliche Weise glich. Ich hatte also geschwiegen, blieb sogar stumm als er ging, warf ihm kein „Tschüss“, kein „Auf Widersehen“ hinterher. Es war eine bizarre, eine surrealistische Begegnung und nun, nachdem er durch die Tür der Gastwirtschaft gleichsam abgetreten war, freute ich mich. Dabei waren mir der Monolog und sein Inhalt egal. Die Freude galt dem Ereignis an sich.
In diese Gegend hatte es mich auch zu Zeiten meines Lebens in Hamburg nur selten verschlagen. Ich kannte hier niemanden, außer einem Ehepaar, welches ich mit meiner Mutter manchmal besucht hatte. Auch darin lag eine, sicher zufällige, Übereinstimmung mit der Erzählung des Mannes. Allerdings war ich bei den Besuchen noch sehr jung, sieben oder acht vielleicht, und ich hatte zwar auch ein paar Runden durch die Straßen gedreht, war aber nirgends eingekehrt. Später zog das Ehepaar in die Stadt, in unsere Nähe, soweit ich mich erinnere in das sogenannte Generalsviertel, das so hieß, weil die Straßen dort nach Moltke und Roon, nach Blücher und anderen benannt worden waren. Als ich noch in Iserbrook, nahe der Elbchaussee lebte, hatte ich manchmal den Weg quer durch Hochkamp und Klein Flottbek gewählt, um dann beim Jenischpark hinunter zur Elbpromenade zu gelangen. Und nun, an diesem Sommertag, der zu kalt für die Jahreszeit sei, wie mir der Wetterbericht am Morgen mitgeteilt hatte, den ich im Hotel an der Berta-von-Suttner-Straße hörte, während ich frühstückte, war ich von der Route entlang der Elbe in Teufelsbrück abgewichen. Ich hatte die Strecke zu fuß bewältigt und noch ein ordentliches Stück Weges vor mir. Vom Fischmarkt bis zum Bullen wollte ich spazieren. In aller Ruhe, gegen den leichten Nieselregen durch Hut und Mantel ausreichend gewappnet. Dann aber bog ich zum Jenischpark ab. Es war kühl, fast frühherbstlich, der Nieselregen machte unter der Helligkeit des Himmels alles glänzen. Mich fröstelte nun, und so entschloss ich mich in eine Gastwirtschaft einzukehren, bestellte mir ein Kännchen Kaffee und hatte den ersten Schluck genommen, als der merkwürdige Mann sich zu mir setzte, sich ein Bier bestellte und seinen Monolog sprach. Ich trank weiter Kaffee und hatte das Kännchen geleert, als er fertig war, zahlte und ging. Ich blieb noch einen Moment.
Eigentlich hatte ich in Blankenese beim Bahnhof wieder in Richtung der Elbe abbiegen wollen, überlegte es mir aber anders und lief den Sülldorfer Kirchenweg hinauf bis zum Friedhof, durchquerte ihn, wie ich es vor Jahrzehnten so oft getan hatte und stand dann vor dem flachen Bungalow. Der Name auf dem Schild unter der Klingel war mir unbekannt. Ich zögerte zu läuten, ging die Straße auf und ab, tat es endlich aber doch. Niemand öffnete.
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