(März 2014)
Vorbemerkung
Die Errungenschaften der bürgerlichen Revolutionen in Frankreich, der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten, der deutschen Revolution von 1918 und der russischen Februar-Revolution von 1917 sind, wenn auch sehr unterschiedlich ausgeprägt und durch soziale Schichtungen überlagert, konstitutionell für die Entwicklung eines demokratischen Gesellschaftsplans. In den revolutionären Ereignissen von 1848/49 und zum Teil bereits in der Alten Eidgenossenschaft (1291) schlug sich das Ziel nieder, nicht mehr unter der (gottgewollten) Herrschaft eines Adels zu leben. Die Citoyens wollten ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen.
Die Entwicklung des bürgerlichen Staates (in zivilgesellschaftlichem Sinne, also im Sinne von Citoyen) hat zu einer Zusicherung folgender Rechte geführt:
Recht auf freie Vereinigung (Parteien, Gewerkschaften, Gruppen)
Recht auf freie Meinungsäußerung (Medien, freies Wort, Widerspruchsrecht)
Recht auf freie Eheschließung
Recht auf individuelle Freiheit (im Gegensatz zur Leibeigenschaft oder Sklaverei)
Recht auf freie Expression des Individuellen (Sexualität, Kleidung …)
Recht auf körperliche Unversehrtheit (keine Folter, keine Kennzeichnung, keine Körperstrafen)
Recht auf rechtliches Gehör
Gleichheit vor dem Gesetz und rechtstaatliche, der Willkür enthobene Rechtsprechung
Unabhängigkeit der Gerichte
Verzicht auf Vorzensur
Diese Rechte finden teilweise ihre Schranken in der Wahrung gleicher oder konkurrierender Rechte anderer.
Zusicherung allerdings bedeutet nicht, dass diese Rechte auch alle vollständig überall anwesend sind. Wie uns die Folterungen von Häftlingen in geheimen CIA-Gefängnissen, in Abu Ghraib und Guantanamo zeigen, ist es dem bürgerlichen Staat als Institution möglich, die ihn konstituierenden Rechte zu brechen. Was für die USA gilt, gilt auch für andere Staaten, und zwar nach Zeitabschnitten unterschiedlich stark. Es gilt für Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland (Spiegel-Affäre, Berufsverbote), für Italien und praktisch jeden Staat, in dem demokratische Grundrechte die konstitutionelle Basis bilden. Es liegt im Wesentlichen an den Bürgern (Citoyen) und ihrem Agieren, ob und wie weit sich Normabweichungen durch den Staatsapparat durchsetzen lassen.
Trotz der Verfassungswirklichkeiten sind die bürgerlichen Rechte eine Errungenschaft, die so sehr wichtig ist, dass ihr Erringen eine dauerhafte revolutionäre Wende darstellt. Die bürgerlichen Revolutionen und Staatengründungen haben, zumindest in ihrer Staatstheorie, eine freiheitliche Gesellschaft versprochen und sie, bei aller Widersprüchlichkeit, relativ zu verwirklichen getrachtet. Neben den Bürgerrechten, die zugleich Teil der universellen Menschenrechte wurden, stehen die Besitzrechte, also die ökonomische Verfasstheit des bürgerlichen Staates.
Die Besitzrechte sind es, die es möglich machen, dass der Bürgerliche Staat im Sinne einer abgrenzenden Definition zum Feudalstaat, auch dann weiterbesteht, wenn in ihm die Bürger-, also auch die Menschenrechte, erlöschen. Ein faschistischer Staat kann nur ein bürgerlicher Staat sein.
In allen großen Volksparteien (in Deutschland: CDU, CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, aber selbstverständlich auch DIE LINKE), finden sich Menschen, die die Bürgerrechte, also die ethisch-moralischen Werte des bürgerlichen Staates, gegen vielfache Angriffe zu verteidigen bereit sind.
Der Staat der Citoyens schafft sich selbst ab
Nach einer langen Entwicklung, die insbesondere in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und dann wieder ab Mitte der Sechziger zweimal zu einer starken Ausweitung der individuellen Freiheitsrechte geführt hat (bezogen auf die jeweils kontemporäre Situation), macht sich ein rückläufiger Trend bemerkbar. Dieser geschieht auf mehreren, zu einem erheblichen Teil religiös basierten, Grundlagen. Die Tea-Party-Bewegung in den USA, die Positionen Sarrazins und Lewitscharoffs in Deutschland, die wachsende Wählergunst für rechtspopuläre Parteien in Österreich, Frankreich und der Schweiz, das Erstarken des Flämischen Blocks in Belgien und andere Ereignisse zeigen, dass es in weiten Teilen der Bevölkerung eine Rückkehr zu u.a. obrigkeitsstaatlichen, regionalistischen, nationalistischen und xenophoben Positionen gibt. Zugleich werden Errungenschaften des Bürgerlichen Staates, wie z.B. die Presse- und Redefreiheit (Internet) eingeschränkt, überwacht, ausgewertet.
Damit schafft sich der Staat der Citoyens ab und wird zu einer Hülle. Der Begriff der Postdemokratie beschreibt die Entwicklungsrichtung hin zu einem Staat, der zwar formal noch demokratisch ist, aber massiv in die Freiheitsrechte des Individuums eingreift, insbesondere in das der informationellen Selbstbestimmung. Ich halte den Begriff der Postdemokratie allerdings für unbrauchbar, da er versucht einen Zustand aufgrund eines vorhergehenden zu beschreiben. Zumal dieser vorhergehende keine Traditionslinie aufweist, sondern kurzlebig gewesen zu sein scheint – falls es nicht gelingt, die Entwicklung zu stoppen. Der Begriff eines bevorstehenden technokratischen Totalitarismus scheint mir wesentlich deutlicher.
Der Bürgerliche Staat schafft sich jedoch auch deshalb ab, weil ihm in Innen- und Außenpolitik jenes Maß an moralisch-ethischer Selbstvergewisserung verlorengeht, welches er schon erreicht hatte, und zwar gerade auch wegen des massiven Eingreifens der Bürger (Kampf gegen Vietnamkrieg, die Anti-Atom-Tod-Aktionen, die großen Friedensdemonstrationen durch alle Jahrzehnte seit dem Ende des deutschen Faschismus‘ und des Zweiten Weltkriegs, die Ausweitung von zivilgesellschaftlichen Eingriffsmöglichkeiten [Bürgerbegehren, Anhörungen in Gesetzgebungsverfahren]).
Zugleich hat der Bürgerliche Staat immer wieder auch jene Kräfte gestützt, die bürgerlich nicht im Sinne des Staates der Citoyens waren: die Obristen in Griechenland, die bis zu seinem Tode andauernde Herrschaft Francos in Spanien, die Diktatur in Portugal, die Diktaturen in Chile, Argentinien usw. Gleichwohl hat es gegen die Unterstützung der Diktaturen, die je nach politischer Notwendigkeit mehr oder weniger offen stattfand, immer auch zivilgesellschaftlichen Protest aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft gegeben.
Der Sündenfall der Staaten fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem Diktaturen dieser Art weitgehend schon der Geschichte angehörten. Der Krieg gegen Serbien, der Einmarsch in den Irak und der Angriff auf Afghanistan waren völkerrechtswidrige Aktionen. Ihnen vorausgegangen waren bereits die Besetzung Grenadas durch die USA, der Schlag gegen Panama und andere. Sie jedoch schienen bis zum Angriff auf Serbien der Geschichte anzugehören.
Völkerrechtsbrüche schaffen neue Völkerrechtsbrüche. Allerdings kann ein begangener Völkerrechtsbruch nicht zu einem Merkmal werden, das es verbietet, gegen neue zu protestieren. Erstens wechseln auch innerhalb der Staaten die Akteure, zweitens wird die Einforderung von Recht nicht dadurch obsolet, dass man selbst Recht gebrochen hat. Und drittens gäbe es dann keine Staaten, die gegen die Außen- und Kriegspolitik anderer Staaten protestieren könnten. Alle haben Dreck am Stecken.
Schwierig allerdings wird es, wenn man während der eigenen Tat, die des anderen anklagen möchte.
Die Innen- und Außenpolitik vermischt sich im Rahmen der Globalisierung. Eine Gemengelage, die vordem nur in Zeiten eines heißen Krieges auftrat, tritt nun im gegenwärtigen Kalten Krieg zwischen den vier mächtigsten Zentren auf (USA, EU, Russland, China). Ziviler Ungehorsam, Whistleblowing und Obstruktion staatlicher Handlungen werden zu Akten, die sich vermeintlich gegen die Sicherheit der Staaten und vermeintlich auch gegen die der Bürger richten. Sowohl der Fall Snowdens als auch das stundenlange Verhör eines Mitarbeiters eines britischen Journalisten, die Durchsuchungen von Zeitungs- und Fernsehredaktionen in mehreren Staaten, die Entwicklung der Freiheitsrechte im Netz – sie sind mit der sogenannten Spiegelaffäre1 vergleichbar. Der immer stärkere Durchgriff des Staates hat zudem zur „Schere im Kopf“ geführt: In vielen Redaktionen überlegt man zweimal, ob Informationen verwertet und wie sie dargestellt werden.
Maßgebliche politische Entscheidungen unterliegen nicht mehr der primären und sekundären Beschlussfassung der nationalen oder regionalen Parlamente, sondern der Administration. Ihre Gültigkeit anzugreifen findet außerhalb der politischen Ebene auf der der Jurisdiktion statt. Sowohl die Verfassungsgerichtsbarkeit der Staaten aber, als auch die staatlicher Zusammenschlüsse, muss das letzte Mittel der Wahl sein, um politische Entscheidungen zu korrigieren, die den bürgerlichen Staat in seinem Auftrag verletzen. Sie können nicht den politischen Willensbildungsprozess ersetzen. Tun sie es dennoch, so ergibt sich eine Situation, in der außerhalb der Mitwirkung der Bürger Verwaltung und Gerichtsbarkeit über die Verfassungs- und Rechtswirklichkeit bestimmen. Damit erlischt die Demokratie.
Sie wird aber auch durch den Abbau des sozialen Netzes gefährdet. Neoliberale Politik ist grundsätzlich eine Politik, die Freiheitsrechte einschränkt, weil sie die Wahrnehmung zivilgesellschaftlichen Engagements von der Einkommenssituation der Subjekte abhängig macht. Wer arm ist, wer zudem, wie mit dem Sozialgesetzbuch II vorgesehen, gefordert wird, verliert den Anschluss an die Gesellschaft. Er verliert ihn schon deshalb, weil der Überlebenskampf Strategien erfordert, die notwendigerweise die Ausgrenzung verstärken. Zudem erfolgt eine Stigmatisierung. Alle soziologischen Untersuchungen (die erste aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts über die Arbeitersiedlung Marienthal bei Wien [Marie Jahoda u.a.]) zeigen, dass die Regel nicht Gegenwehr gegen die Verarmung ist, sondern Resignation.
Nun ist es nicht so, dass dem Staat der Citoyens die Idee des Sozialstaates grundsätzlich innewohnt. Gleichwohl ist sie seit der französischen Revolution Teil der Diskussion um die Ausgestaltung. Schon früh hat es in den deutschen Stadtstaaten wohltätige Gesellschaften gegeben, die auf der Ebene der Almosengabe Verelendung lindern wollten oder Institutionen schafften, die Bildung und relativen Wohlstand garantieren sollten (z.B. die Patriotische Gesellschaft in Hamburg, der ich kürzlich wieder beigetreten bin). Die Wirtschaftspolitik der frühen Jahre und selbst die zur Zeit der Depressionen war geprägt zwar von manchmal schrankenloser Kapitalherrschaft über den sozialen Ausgleichsgedanken – neoliberal aber war die Wirtschaftspolitik kaum. Sie zielte nicht auf Spaltung, sondern nahm sie hin, was ein Unterschied ist, sie deutete Freiheit nicht zur Freiheit des Kapitalverkehrs und der Profitvermehrung um, sondern garantierte beides, ohne es zu einer allumfassenden Grundlage zu machen. Neoliberale Politik ist die Kampfansage des bourgeoisen Teils des bürgerlichen Staates an die ethisch-moralische Grundlage des Staates der Citoyens. Sie, die neoliberale Politik, muss dabei nicht nur jene Teile angreifen, die die Eigentumsfrage stellen, sondern auch religiöse Institutionen, das über die Sicherung des Erhalts der Existenz hinausgehende sozialstaatliche Element des Staates, die Subventionspolitik notleidener Produktionszweige (z.B. in der Landwirtschaft), den Erhalt von nicht profitabler Infrastruktur (z.B. im dörflichen Bereich: Dorfläden, Landärzte etc.). Nicht ohne Grund wenden sich große Teile der katholischen und evangelischen Kirche gegen neoliberale Gesellschaftsumbauten und fordern eine Umkehr. Dies durchaus auch aufgrund der zivilgesellschaftlichen Wurzeln des bürgerlichen Staates, die ohne Frage auch christlich sind. Letztlich ist eine vollständige Nivellierung des Reichtumsgefälles aber nicht möglich, wenn man nicht den bourgeoisen Teil des bürgerlichen Staates aufhebt.
Will der Bürgerliche Staat überleben, so muss er sich an seine grundlegende moralische und ethische Agenda halten. Ohne diese Grundlagen verkommt er zu einem zwar noch bourgeoisen Konstrukt von Besitzrechten, verliert aber den Charakter des Staates der Citoyen. Dazu gehört im Inneren die Wahrung der Freiheitsrechte sowie die Schaffung eines tragenden sozialen Ausgleichs und im Äußeren eine kriegsvermeidende Politik. Krieg meint hier sowohl heiße Konflikte, als auch sogenannte kalte.
Die vier Zentren
Durch das Wahlsystem der USA, den auch dort nicht überwundenen Rassismus und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes, geht von den Vereinigten Staaten eine weltweite Gefährdung aus. Die gegenwärtige Politik versucht, nicht erst seit Bush und immer noch unter Obama, die Probleme des Landes durch die Übernahme des gegenwärtigen Globalisierungsschubs mit militärischen Mitteln und aggressiver Diplomatie zu lösen. Dabei dient die Außenpolitik vornehmlich dem wirtschaftlichen Selbstbehalt der großen Konzerne und der Ausweitung der Einflusssphäre.
Die Europäische Union reagiert auf die amerikanische Außenpolitik unterschiedlich, sowohl hinsichtlich der Einzelentscheidungen als auch des Agierens der europäischen Mitgliedstaaten. So unterstützten einige Staaten (z.B. Großbritannien) die Invasion des Iraks durch die sogenannte Koalition der Willigen, während andere Staaten (z.B. Deutschland) sie offiziell nicht unterstützten.
Am Beispiel der Ukraine lässt sich aufzeigen, dass sowohl die Europäische Union als auch die USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite nicht in der Lage waren, eine Strategie zu entwickeln, die sich an die Grundlagen des Bürgerlichen Staates gehalten hätte. Vielmehr kam es zu einem Interessenkonflikt in dem weder die Schlichtung des internen ukrainischen Konflikts, noch ein langfristiger Interessenausgleich zwischen den konkurrierenden Zentren EU/USA und Russland das Ziel waren. Der Konflikt in der Ukraine, welcher sich durch die massiven Demonstrationen auf dem Maidan eine sichtbare Ebene geschaffen hat, ist auch, aber nicht vornehmlich, ein ethnischer Konflikt. Er ist, mehr als es um Zugehörigkeitsgefühle zu Europa, respektive Russland geht, ein Konflikt unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen. Die im Donezbecken ansässigen Oligarchen haben ein Interesse ihre Bodenerzeugnisse an den nachfragestarken Partner Russland zu verkaufen, während die Industrie im westlichen Teil des Landes vornehmlich auf Technologieflüsse und Handelspartnerschaften mit der EU setzt. Die wankelmütige, schwer einschätzbare und möglicherweise durch Panik gekennzeichnete Politik der Regierung Janukowitsch war nicht in der Lage und offenbar auch nicht willens einen Kompromiss zwischen den Interessen zu erzielen. Die ukrainische Präsidialverfassung, die dem Parlament wesentliche Entscheidungen zugunsten des Präsidenten abgenommen hatte (und durchaus der US-amerikanischen ähnlich ist), hat dabei zu einer Verschärfung geführt.
Gleichzeitig war das Land, auch weil es zum Spielball strategischer Interessen wurde, nicht mehr in der Lage, die Bedürfnisse seiner Bürger ausreichend zu erfüllen. Die Stagnation in der Wirtschaft, der schleppende Aufbau von Infrastruktur und die Dekretpolitik der Regierung haben dabei eine Atmosphäre geschaffen, in der große Teile der Bürger einen Wechsel wollten. Auf diesen Unmut sind rechtsradikale, faschistische Parteien aufgesprungen und haben ihn zum Teil zu instrumentalisieren verstanden. Aber natürlich bedeutet die Partizipation rechtsradikaler Organisationen und Gruppierungen nicht, dass mehrheitlich von einem faschistischen Putsch ausgegangen werden kann. Wie die Geschichte zeigt, ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, in Situationen wie dieser, solche Kräfte dauerhaft und wirksam zu verdrängen. Diejenigen, welche die Abgrenzung zu leisten hätten, befinden sich sowohl von jenen Kräften als auch von der jeweiligen Staatsmacht umrahmt. Zudem bestehen die demokratischen Gruppierungen ja eben als Gruppierungen und nicht als homogene Gruppe.
Anzulasten ist jedoch den meisten europäischen Medien, wie auch der Politik der EU und der USA, dass viel zu wenig, zu verhalten und zu beschönigend auf diese Kräfte hingewiesen wurde. Es wäre die Aufgabe einer bürgerlichen Außenpolitik gewesen, der sich neu bildendenden Regierung deutlich zu machen, dass man mit einer Regierung, in der Vertreter von Swoboda vertreten sind, nur auf verhaltener Weise zusammenarbeiten könne. Eine gänzliche Missachtung der Regierung aber hätte eine Missachtung der gesamten Umstände in der Ukraine bedeutet. Durch die völlige Ignoranz den rechtsradikalen gegenüber hat man jedoch die Demokraten in der Revolte allein gelassen. Das wird sich möglicherweise bitter für die EU und die Demokraten in der Ukraine rächen.
Ein ähnlich larmoyantes Verhalten den Freiheitsrechten gegenüber hat es bereits bezüglich Ungarn gegeben, wo die restriktiven und gegen die Presse- und Meinungsfreiheit gerichteten Maßnahmen der Regierung allenfalls das Heben des Zeigefingers zur Folge hatte.
Die sowohl unklare als auch nicht an den bürgerlichen Werten ausgerichtete Außenpolitik der EU resultiert m.M.n. aus der globalen Lage. Diese Lage wird maßgeblich von vier Akteuren bestimmt, die sich sowohl die Märkte für ihre Produkte als auch die Ressourcen für ihre Produktion sichern müssen. Diese Akteure sind die USA, die EU, Russland und China. Hinzu kommen aufstrebende Schwellenländer wie z.B. Indien und Brasilien.
Die mächtigen Akteure
China
Die chinesische Innenpolitik ist zugleich von Aufbruch in eine immer weitere Industrialisierung und Technologisierung als auch von einem Mangel an Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung geprägt. Es besteht ganz ohne Frage ein Demokratiedefizit. Freiheiten aber sind unteilbar. Man kann schlechterdings nicht eintreten für mehr Demokratie hier und diese Forderung dort unterlassen. Die Strafe folgt auf dem Fuße: Die eigene Glaubwürdigkeit geht kapeister. Das trifft sowohl jene Kräfte die antibürgerlich (im Sinne von antibourgeois) sind, wie jene, die aufgrund von Handelsinteressen auf das Einfordern von universellen Grundrechten verzichten.
China ist einer der vier großen Akteure. Es hat insbesondere in Afrika nicht nur erhebliche Handelsinteressen, sondern ist als Staat oder über staatliche Unternehmen auch Großgrundbesitzer. Die chinesischen Ölbohrungen im Süd-Sudan finden nur unter sehr rudimentären Umweltgesichtspunkten statt.
Insgesamt betrug Spiegel Online2 zufolge das Handelsvolumen chinesischer Firmen in Afrika 200 Milliarden USD. 172 Millionen USD wurden in Infrastrukturmaßnahmen investiert (ebenda).
Die technologische Entwicklung Chinas schreitet trotz Einbrüche im Wachstum stetig voran. Seltene Erden, Erdöl und Ergas, Technologietransfer sind dabei für das Land, in dem mehr als 1,3 Milliarden Menschen wohnen, von großer Bedeutung. China kann sich um seiner selbst willen keine Zugangseinschränkungen zum Weltmarkt erlauben. Die wirtschaftlichen Interessen des Staates schlagen sich deshalb auch im steigenden Militäretat nieder. Chinas Außenpolitik ist bestimmt von seinen innenpolitischen und wirtschaftlichen Zielen. Sie geben sowohl die Richtung als auch die Art des Agierens vor.
Einige Basiszahlen: Das Verhältnis von Einfuhr zur Ausfuhr lag 2013 bei 1.950 Mrd. USD zu 2.210 Mrd. USD, während es 2003 noch bei 412 zu 438 Mrd. USD und 1993 bei 103 zu 92 Mrd. USD gelegen hatte. Der Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes wird inzwischen von der inländischen Nachfrage angetrieben. Zu Preisen von 2011 entwickelte sich das BIP von 119 Mrd. RMD (Landeswährung) 1952 über 2.664 Mrd. RMD (1992) zu 40.201 Mrd. RMD in 2010. Das BIP pro Einwohner stieg von 119 RMD im Jahr 1952 auf 12.336 RMD im Jahr 2004.
Die Stahlproduktion stieg von 0,6 Mio. Tonnen 1952 über 182 Mio. Tonnen 2002 auf 778 Mio. Tonnen 2013. Die Zementproduktion stieg von 1,4 Mio. Tonnen 1952 auf 2.099 Mio. Tonnen 2011.
Das Wirtschaftswachstum 2013 betrug 8,4%, die Investitionsrate lag 2009 bei 45 %.
Bei der Getreideproduktion liegt China auf Platz 1 vor den USA. China belegt den zweiten Platz beim Rinderbestand, den dritten Platz bei der Zuckerproduktion, den fünften Platz bei der Produktion von Kautschuk, den ersten bei Zink, den sechsten bei Gold (USA 3), den ersten bei Aluminium (USA 4), bei Erdöl den sechsten Platz (USA 3) und den zweiten bei der Stromerzeugung (USA 1).
Die Volksbefreiungsarmee (VBA) hat 2.285.000 aktive SoldatInnen und eine Reserve von 281.240.271 bei einer Generalmobilmachung. Die Ausgaben für die VBA liegen nach unterschiedlichen Quellen zwischen 143 und 180 Mrd. USD und betragen damit mindestens 2 % des BIP (2012). Die chinesischen Luftstreitkräfte bestehen aus 29 Divisionen mit 250.000 SoldatInnen und rund 1.800 Kampfflugzeugen, 180 Aufklärern und 300 Transport- und Tankflugzeugen. China verfügt über Raketen aller Reichweichen, die auch atomare Gefechtsköpfe tragen können. Immer größere Teile der Militärproduktion sind Eigenentwicklungen. An Drohnen wird gearbeitet.
Die Menschenrechtslage ist schlecht. Die Anzahl von Todesstrafen sehr hoch. Todesstrafen können für eine Vielzahl von Delikten verhängt werden. Die Gefängnisse sind größtenteils in schlechtem Zustand. Grundlegende Rechte, wie freier Zugang zu Informationen, Pressefreiheit und Freiheit der Kunst, bestehen nur unter sehr starken Einschränkungen. Immer wieder werden Journalisten, Schriftsteller und Künstler inhaftiert.
Eine Partizipation der Bevölkerung ist gering. Es besteht ein Einparteiensystem.
Russland
Russland ist in weiten Teilen autark. Seit dem Ende der Sowjetunion ist es gelungen, den technologischen Rückstand, der hauptsächlich auf den Handelsrestriktionen der sogenannten Cocom-Liste beruhte, aufzuholen. Die großen Vorkommen an Erdgas, seltenen Erden, Gold, Silber, Platin, der reiche Schatz an nachwachsenden Energien und die – noch nicht vollständig ausgeschöpften – landwirtschaftlichen Ressourcen machen Russland in vielen, aber nicht in allen, Bereichen unabhängig. Russland hat spätestens seit Peter dem Großen als Großmacht agiert. Die nach der Oktoberrevolution von 1917 entstandene Sowjetunion war eine Großmacht. Diese Traditionslinie findet eine angepasste Fortsetzung in der jetzigen russischen Außenpolitik. Dabei agiert der Staat nach innen reaktionär im Bereich der Freiheitsrechte und versucht zugleich, eine notwendige Nivellierung der sozialen Verwerfungen, die im Nachgang des Zerfalls der UdSSR verursacht wurden (Jelzin-Ära), zu erreichen. Die starke Rolle der orthodoxen Kirche, das Anheizen homophober Stimmungen, die erheblichen Einschränkungen der Presse- und Informationsfreiheit dienen offenbar dazu, Opposition zu verhindern und über gemeinsame Feinde einen inneren Zusammenhalt zu schaffen. Es wäre verkürzt, dabei nicht jene russischen Oligarchen im Blick zu behalten, denen die derzeitige Regierungspolitik zur Sicherung ihrer Gewinne dient.
Die russische Wirtschaft entwickelt sich stark:
Russlands Naturreichtum macht das Land in großen Teilen der Wirtschaft von Importen weitgehend unabhängig. Ein gutes Sechstel der weltweiten mineralischen Bodenschätze befindet sich in Russland, darin enthalten ein Drittel aller Erdgasvorkommen sowie ein Zehntel aller Erdölvorräte. Bei den Goldvorkommen liegt Russland auf dem dritten Platz; bei Diamantenvorkommen befindet sich Russland im ersten Drittel. Mehr als ein Viertel der Weltvorräte an Eisen und Zinn befinden sich in Russland, mehr als ein Drittel an Nickel, ein Zehntel an Kupfer, ein Fünftel an Kobalt, mehr als 10 % der Bleivorkommen, mehr als 15 % der Zinkvorräte und 40 % der Platinvorkommen.
Steinkohle befindet sich im Bereich des Urals (Workuta) und im Donezbecken. Allerdings gilt die Kohleförderung technologisch als überaltert und ist ins Hintertreffen geraten.
Industriestandorte sind über das ganze Land verteilt. Insbesondere die Stahlproduktion hat hohes Niveau erreicht. Teile der Stahlunternehmen gehören zu den dreißig stärksten Stahlunternehmen der Welt. Russlands Landwirtschaft ist für die russische Wirtschaft von besonderer Wichtigkeit. In der Jelzin-Ära erlitt die Landwirtschaft einen dramatischen Einbruch. Die Produktion ist inzwischen wieder gesundet. Der Produktionswert lag 2009 bei 38 Milliarden USD. Russlands Schwarzerdegebiet ist das größte der Welt, die Nutzfläche beträgt 219 Millionen Hektar. Neun Prozent des weltweiten Ackerlandes befinden sich in Russland. Die Landwirtschaft ist von sehr großen Betrieben geprägt. Die ebenfalls in der Transformationszeit zurückgegangen Erträge in der Viehzucht machten Importe nötig. Inzwischen hat die Produktion wieder erheblich zugelegt, das Potential ist jedoch noch nicht annähernd ausgeschöpft. Der gegenwärtige Bestand an Rindern beträgt mehr als 12 Millionen Tiere, der an Schweinen mehr als 7 Millionen.
Insgesamt hat sich die Lage in den Streitkräften stabilisiert. Die Probleme aus den 1990er Jahren wurden bereinigt. Es werden seit 2000 wieder häufiger Manöver und Übungen durchgeführt. Auch viele soziale Probleme, wie der Wohnungsmangel für Offiziere, werden nach und nach gelöst. Die Rüstungsindustrie ist wieder im Stande, hochmoderne Waffen, Kampfflugzeuge, Schiffe, U-Boote oder strategische Atomraketen, wie die durch Raketenabwehrsysteme schwer zu bekämpfende Topol-M, zu produzieren.
Die Stärke der Streitkräfte betrug 2001 1.183.000 Mann, davon 321.000 Landstreitkräfte, 171.500 Marine, 184.600 Luftstreitkräfte und 149.600 Atomstreitkräfte. 40.000 dienen in Staaten der GUS als Friedenstruppen und 316.900 werden als „sonstige Militärs“ geführt.
Russland gab 2011 71,9 Mrd. USD, d. h. etwa 3,6 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts, für das Militär aus – weit weniger als die USA
Die russische Außenpolitik ist wankelmütig. Sie bietet kein geschlossenes Bild, sondern ist eine Reaktion auf die Außenpolitik der EU, der NATO und der USA. Während in der Auseinandersetzung in und um Syrien strikt gegen die NATO agiert wurde, fand ein vergleichbares Vorgehen bei Libyen nicht statt. Der jetzige Konflikt um die Krim dient hauptsächlich dazu, aus der Ukraine einen Staat zu machen, dessen innenpolitische Probleme einen NATO-Beitritt verhindern. Die Vermutung, es sei eine Reaktion auf jene Teile der neuen ukrainischen Regierung, die aus dem faschistischen und nationalistischen Lager stammen, ist gutherzig, aber falsch. Denn dann müsste es ja auch eine intensive Bekämpfung von Faschisten und Ultranationalisten in Russland geben.
Die Menschenrechtslage ist eher schlecht. Immer wieder kommt es zu Übergriffen auf Journalisten, die Urheberschaft ist unklar. Die Parteienlandschaft ist ständig in einem oft vom Büro des Präsidenten gesteuerten Umbruch. Der Opposition wird ein adäquater Platz in den Medien nicht eingeräumt, im Gegensatz zu den Regierungsparteien. Es handelt sich jedoch um einen noch demokratischen Staat.
Die Europäische Union
Die Europäische Union umfassend darzustellen ist in der Kürze dieses Textes nicht möglich. Es zeigen sich aber bei der EU exemplarisch die Zerfallserscheinungen der Bürgerlichen Staates (wobei ich hier wiederum den der Citoyens meine). Die soziale Situation in den Mitgliedstaaten ist sehr unterschiedlich. Reiche Geberstaaten zwingen die ärmeren Staaten zu einer Verelendungspolitik. Das hat ein Erstarken nationalistischer Kräfte zur Folge. Zugleich werden, wegen der Finanzabflüsse und Kreditgewährungen, diese Kräfte auch in den Geberländern stärker.
Gleichwohl ist die EU mit 500 Millionen Einwohnern eine der größten staatengleichen Gliederungen der Welt. 28 Mitgliedsstaaten erwirtschaften ein Bruttosozialprodukt von 18,3 Billionen USD und sind damit der größte Binnenmarkt der Welt (China 8,2 Billionen USD, Russland 1,8 Billionen USD, USA 15 Billionen USD, jeweils nominal, wobei bei den USA nominal und nach Kaufkraftparität identisch sind).
Die Arbeitslosenquote in der EU liegt bei saisonbereinigten 9,5 % (2011), im gleichen Jahr lag das Wirtschaftswachstum bei 1,6 %. Das Prokopfeinkommen weist sehr große Unterschiede auf. Während es in Bulgarien bei 6.800 USD liegt (2012), liegt es in Luxemburg bei 113.000 USD, also dem 16-fachen.
Die Leistungsbilanz wies 2011 ein Defizit von 256 Milliarden USD auf.
Die Mannschaftsstärke der Armeen der EU-Staaten lag 2005 bei 1,9 Millionen SoldatInnen, die Militärausgaben lagen bei 222 Milliarden USD.
Die europäische Außenpolitik hat es nicht geschafft, eine einheitliche Linie zu finden. Unter der „Außenministerin“ Ashton ist es zu keinen wesentlichen Verbesserungen hinsichtlich des gemeinsamen Auftretens gekommen. Die Mitgliedsstaaten, insbesondere die großen, verfolgen Partikularinteressen. Besonders Großbritannien, Frankreich und Spanien orientieren sich dabei stärker an den Interessen der USA, als an denen einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik.
Die Menschenrechtslage in den Mitgliedsstaaten ist sehr unterschiedlich. In Ungarn ist der staatliche Einfluss auf die Medien sehr hoch, eine freie Berichterstattung ist nicht gewährleistet. Starke Oligopole teilen sich den Markt privater Medien in fast allen Staaten. Dadurch ist die Pressefreiheit erheblich eingeschränkt. In Spanien wird durch Regierung ein unversöhnlicher Kurs gegen Separatistenorganisationen gefahren. In Großbritannien kommt es zu staatlichen Ein- und Angriffen auf Zeitungen und Journalisten. Das britische Wahlrecht verfälscht die prozentualen Anteile von Parteienzustimmung zur Unterhauswahl durch das Direktwahlverfahren. Insgesamt handelt es sich jedoch bei der EU um das einzige der vier Zentren, in dem prinzipiell von einer funktionierenden Demokratie gesprochen werden kann.
Die USA
Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ohne Frage die zurzeit stärkste Militärmacht. Allerdings steht der Riese auf tönernen Füßen. Das jährliche Handelsbilanzdefizit liegt bei ca. 708 Milliarden USD (2007), die Verteilung von Armut und Reichtum behindert die Kaufkraftentwicklung. Die Menschenrechtslage ist eher schlecht, die USA sind der Staat mit den meisten Gefängnisinsassen weltweit. Armut ist weit verbreitet, Obdachlosigkeit ein Problem nicht nur in den Großstädten. Große Städte sind bankrott (z. B. Detroit) und können ihren sozialen Verpflichtungen ebensowenig nachkommen, wie der Aufrechterhaltung der Infrastruktur. Die USA sind als Wirtschaftsraum die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit 16,9 Billionen USD BIP (EU 18,3), als nationaler Einzelstaat jedoch die größte. 2012 lang die Arbeitslosenquote bei 8,1 %, die Inflation bei 2,1 % und das Wachstum bei 2,8 %. Vom Bruttoinlandsprodukt werden 73 % in Dienstleistungen erwirtschaftet.
36 % der Haushalte leben unterhalb der Armutsgrenze (20.000 USD für eine vierköpfige Familie pro Jahr; 10.294 USD für Singles). Die ethnische Abstammung hat großen Einfluss auf die Verdienstchancen. So lag der Median für asiatische Familien bei 57.000 USD, für schwarze Familien bei 30.000 USD.
Der Staatshaushalt umfasste 2009 Ausgaben von 3,52 Billionen USD, dem standen Einnahmen von 2,1 Billionen USD gegenüber.
Wahlen sind nur auf den untersten Ebenen und zum Teil bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus mit den demokratischen Grundsätzen Europas zu vergleichen. Das de facto bestehende Zwei-Parteien-System und die Drittmittelfinanzierung der Präsidentschaftskandidaten machen demokratische Prozesse weitgehend zur Staffage.
Die Streitkräfte der USA sind nach der Volksbefreiungsarmee die personenstärkste der Welt. Die Rüstungsausgaben der USA entsprechen 47 % der weltweiten Rüstungsausgaben (2004), sie sind sechsmal so hoch wie die Chinas, das auf Platz zwei folgt. Die Armee ist hochtechnologisiert. Sie verfügt über 1,4 Millionen aktive Soldaten und 1 Million Reservisten (2013).
Seit Bestehen der USA kam es immer wieder zu völkerrechtswidrigen Aktionen des Militärs. In letzter Zeit sind insbesondere die Drohneneinsätze in Pakistan, davor der Angriff auf den Irak („Allianz der Willigen“) und der Angriff auf Afghanistan zu nennen. Die USA gehören nicht zu den Mitgliedsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs. Die Ratifizierung des Status, die bereits erfolgt war, haben die USA zurückgezogen (Unterzeichnung des Statuts im Jahr 2000, im Jahr 2002 wurde die Unterzeichnung zurückgezogen).
Die Menschenrechtslage ist eher schlecht. Es besteht die Todesstrafe in vielen Bundesstaaten. Die Präsidentschaftswahlen sind durch das Wahlsystem eher nicht demokratisch. Es existieren aber vielfältige Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger auf anderen Ebenen der staatlichen Organe, bis hin zur Wahl der Sheriffs.
Im Rahmen der Terrorabwehr werden grundlegende Bürgerrechte außer Kraft gesetzt. Es besteht eine flächendeckende Überwachung durch Inlandsgeheimdienste.
Es gibt Rassismus sowohl in der Rechtssprechung als auch hinsichtlich der persönlichen Lebensführung.
Resümee
Die globalen Auseinandersetzungen werden an Dynamik und Intensität zunehmen. Die wirtschaftliche Schieflage der USA, das Nord-Süd-Gefälle der EU, der aus eigener Sicht notwendige Expansions- und Bewahrungsdrang Russlands (welche nicht nur vom derzeitigen Präsidenten getragen werden) und der schnelle Aufstieg Chinas schaffen eine Gemengelage, die in mehrfacher Hinsicht gefährlich ist. Zum einen droht in der Tat der Schritt von den Stellvertreterkriegen und -konflikten (Libyen, Syrien, Ukraine etc.) zu direkten Konfrontationen. Zum anderen führt der Verteilungskampf und die damit verbundene Technokratisierung staatlicher Apparate zu einer Gefahr für die Demokratie. Krieg aber kann nur abgewendet werden, wenn die Demokratie funktioniert. Der Einfluss der Bürger, die in ihrer überwiegenden Zahl keine Kriege zu wollen scheinen, muss das entscheidende Moment der bürgerlichen Politik werden. Die Bürgerrechte, die ja auch fundamentale Menschenrechte sind, müssen also verteidigt werden. Es wird notwendig sein, über ideologische Grenzen hinaus zu einer Vereinheitlichung jener Kräfte zu kommen, die den Staat der Citoyen neu schaffen wollen. Diesem Konzept wird jenes der völkischen Einheit unversöhnlich gegenüberstehen. Das liegt daran, dass die Verteidigung der Bürgerrechte nur auf globaler Ebene erfolgreich sein kann. Die Rechte der Menschen in Russland, China oder den USA sind auch die der Menschen in Spanien, Deutschland oder Italien. Über die Grenzen hinweg muss eine Bewegung entstehen, die sich für die Werte der bürgerlichen Revolutionen einsetzt und verhindert, dass es global eine Zeit nach der Demokratie gibt.
Die intellektuelle Schwäche der Linken, die es in diesem Ausmaß historisch meiner Meinung nach noch nie gegeben hat, kann bedeuten, dass die Linke dann nur noch als Schattenwurf ihrer eigenen Vergangenheit sichtbar wird.
Ohne dass es Analysen in akzeptablen Umfang gegen hätte, hat ein großer Teil der Linken z.B. die Protestierenden auf dem Maidan zu einer Gruppe geformt, die offenbar nie real bestanden hat, und nach rechts befördert, wo aber nur Teile hingehören. Man hat nicht zu einer großflächig geteilten Meinung hinsichtlich der Ereignisse in Ägypten gefunden, es gibt keine umfängliche Einschätzung zu Syrien, die nicht letztlich heißt: Syrisches Volk, friss oder stirb. Das galt auch schon hinsichtlich der verheerenden Heldenverehrung Gaddafi gegenüber. Aber mit einem Antiimperialismus, der nur den einen Feind kennt und darum die anderen nicht erkennen will, macht man sich unglaubwürdig und letztlich klebt Blut dann auch an den eigenen Händen. Die Linke beraubt sich jeden Einflusses, weil sie in Reminiszenzen verharrt, hier hinnimmt, was sie dort ablehnt und immer neue Ausflüchte für ihre inkonsequente Wahrnehmung findet. Freiheitsrechte sind unteilbar. Man kann nicht hier die Presse- und Publikationsfreiheit einfordern und hinnehmen, dass es sie in China nicht gibt. Man kann nicht in Europa gegen die Netzkontrolle protestieren und sie anderenorts akzeptabel finden. Das heißt nicht, dass man unterschiedliche Gegebenheiten nicht auch unterschiedlich einschätzen muss. Es heißt aber, dass man nicht reflexhaft dem einen zu dulden auferlegt, was man selbst nicht dulden will.
Man muss brechen mit der Tendenz die eine Unfreiheit der anderen vorzuziehen sondern sagen: Wir wollen gar keine. Sonst wirft man irgendwann, und irgendwann wird bald sein, nicht einmal mehr Schatten.
Die internationale Situation, das Bestehen von vier großen imperialistischen Zentren und die Gefährdung der Freiheitsrechte bedingen, dass der Bürgerliche Staat, der Staat der Citoyens, verteidigt, ja neu geschaffen werden muss. Über die Grenzen der Staaten, der religiösen Ansichten und der politischen Einordnungen hinweg braucht es eine globale Bewegung, die an den Zielen der großen bürgerlichen Revolutionen anknüpft und Menschenrechte, Freiheit also und soziale Sicherheit, Partizipation also und Einfluss, Abrüstung und also Frieden einfordert.
Es wird unerlässlich sein, zu einer europäischen Friedensordnung unter der Einbeziehung Russlands zu kommen. Auch braucht man eine internationale Agenda, die Völkermord und ethnische Vertreibungen wirksam verhindern kann und dies keinesfalls unter der Führerschaft von NATO oder konkurrierender Konstrukte. Man wird sich über strittige Grenzen verständigen müssen und über elementare Rechte. Dauerhaft kann es nur dann zu einer positiven Entwicklung auch in Afrika und Asien kommen, wenn es gelingt, die Bürgerrechte zu globalisieren und zugleich Bildung, soziale Sicherheit und Gesundheitsversorgung ebenso sicherzustellen, wie die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Energie. Die Welt als ganzes muss zum Staat der Citoyens werden. Nur dann ist gesichert, dass eine freie Assoziation freier Menschen einen Planet bewohnt, in dem Krieg nur noch eine bittere Ausnahme ist und nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
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