Manchmal habe ich, ausgelöst stets durch Musik, eine Erinnerung an ein Gefühl der Aufgeregtheit. Jenes Gefühl, welches ich, zuweilen, hatte, wenn ich mit fünfzehn Jahren oder mit zwanzig, mit siebzehn oder dreiundzwanzig das Haus verließ für Abenteuer ganz unterschiedlicher Art. Dass ich dies Gefühl verlor, hat durchaus mit dem Alter zu tun. Es verlor sich, als ich Ende Zwanzig, Anfang 30 war; es verlor sich nicht aus Einsicht oder Weisheit, sondern verstarb durch die Zeiten, durch geringer werdende Angreifbarkeit eigenem Handelns, denn wenn man älter wird, wird einem offensichtlich mehr Autorität zugesprochen, ein unwillkommenes Geschenk.
Ob ich das Gefühl hätte, wäre ich heute fünfzehn Jahre alt oder dreiundzwanzig, weiß ich natürlich nicht. Es wäre vermessen es zu verneinen und es wäre vermessen es zu bejahen. Große Teile meiner Generation, ich gehörte zu diesen Teilen, waren sicher, dass sie eine, zumindest im Westen, aber sicher in Lateinamerika, Revolution erleben würden, die die Welt besser machen würde. Es kam, wie wir wissen, anders. Als ich fünzehn war, putschte Pinochet und ermordete meine sozialdemokratischen, sozialistischen, kommunistischen Genoss:innen.
Gleichwohl war vieles, das ich und andere taten, Teil einer ganz persönlich, ganz im Inneren empfundenen Revolution. Jeder verdammte One-Night-Stand war irgendwie auch revolutionärer Akt. Er war es nicht aufgrund solcher Dummheiten, wie den Parolen der sogenannten Achtundsechziger (“Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment”), die ja in den Jahren vor den unseren agiert hatten, sondern, weil er sich gegen die bestehende Ordnung aus Unterdrückung, Kuppeleiparagrafen, Homosexuellenverfolgung, Weibchenschemata, guter Sitte und bürgerlichem Anstand mit Mut richtete.
Wenn ich abends auf die Piste ging, wusste ich, dass für die trübe Aussicht, diese Nacht nur mit eine paar Bier und guten Freunden in allgemeinem Palaver zu verbringen, eher nichts sprach. Es war das Kribbeln im Bauch, welches Fallschirmspringende haben mögen, Rennfahrende oder Menschen in Achterbahnen.
Vielleicht ist das heute weg, weil der gesellschaftliche Druck nicht mehr da ist. Da ich nun fünfundsechzig Jahre alt bin, kann ich es nicht wissen.
Wer, wie ich, mit fünfzehn oder sechzehn Jahren im Spundloch, einem überwiegend von Homosexuellen besuchten Club, auflief wusste, dass er mit sexuellen Handlungen Menschen gefährdet, die ja auch nichts anderes wollten, als Abenteuer und Spaß. Und auch bei heterosexuellen Beziehungen drohte im Zweifel Strafe. Der Kuppeleiparagraf verlor seine Zinnen erst 1973. Da hatte ich bereits erfolgreich gegen ihn verstoßen. Unter Strafe stand nicht etwa ausschließlich Pädophilie, was ja in Ordnung gewesen wäre, sondern sexuelle Beziehungen, respektive die Schaffung von Gelegenheit dazu, zwischen Personen, gleich welchen Alters. Und darüber schwebte, quasi als Fallbeil über dem Damoklesschwert, dann zusätzlich der Paragraph 175. Die Lage, in der wir uns befanden, erzeugt ein Gefühl von Aktivismus, welches über die notwendigen Aktivitäten für Orgasmen hinausging.Wir kopulierten für die Freiheit.
Gerade, ein Zufall, geriet ich auf eine Playlist bei youtube, auf der dann nach einigen anderen Stücken ganz unerwartet Carole Kings „It’s Too Late“ kam. Und ein ganz leichtes Kribbeln fühlte ich im Bauch, eine verwaschene Reminiszenz an damals
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