Als politisches Gedicht gilt heute schon die auf Hurz-Niveau herabgedichtete Einsicht, dass die geträumten Spinnen alle das Gesicht des Vaters (der Mutter, des verlorenen Sohne, Buddhas, Pumuckls) tragen. Wegen der Interpretation. Wo ein Interpretationslöchlein dräut (falls Löchlein dräuen), wohnt das politische Gedicht.
Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will … Herwegh würde heute in keiner Erörterung über Lyrik mehr vorkommen. Zu platt, würde es heißen. Und: Wo ist die Auseinandersetzung mit dem Ich? Zu doktrinär. Zu klassistisch. Weiß der Teufel, was für „Zus“ dann noch kommen würden. Schon Heine ist manchen verdächtig, vermute ich, wobei aus der Vermutung richtig entnommen werden darf und kann, dass mancher mir heute auch verdächtig vorkommt. Verdächtig larmoyant, verdächtig aufs stete Umkreisen der eigenen Befindlichkeit gerichtet, verdächtig unsolidarisch, verdächtig durchscheinend hingehaucht in der ganzen verkünstelten Existenz.
Ich bin voreingenommen. Ohne Frage. Ich bin darob froh. Auch ohne Frage. Ich will voreingenommen sein. Ich will parteiisch sein. Denn ich bin natürlich Partei. So wie die auch, vielleicht: erst recht, Partei sind, die so tun, als wären sie keine.
Es gibt ganz wenig andere Lyriker. Ganz unbescheiden zähle ich mich dazu. Die dichten tatsächlich um Straßenschlachten und Hartz-IV, um Auschwitz und um gegenwärtigen Rassismus, um Flüchtlinge und Fluchten, um Kinderfriedhöfe und Verfolgung, Krieg und Tod, Hunger und Mord. Aber viele sind es nicht.
Die europäische Dichtung ist bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts hinein verknüpft mit den politischen Kämpfen. Freiligrath, Herwegh, Heine, Louise Aston, Mascha Kaleko, Johannes R. Becher, Franz Josef Degenhardt … Aber akutell. Aber jetzt? Aber in den Feuilletons? Aber in der linken Rezeption? Nichts. Nada. Nothing.
Es ist zum Heulen. Und es liegt natürlich auch daran, dass wir, die gesellschaftliche Linke, von den Extremen bis zur SPD kaum noch wahrgenommene Medien haben. Keine Präsenzen im Netz, kaum was Gedrucktes. Hier ein paar Exemplare des Vorwärts, dort ein paar von Junge Welt und Unsere Zeit, hier ein paar vom Neuen Deutschland.
Dabei bräuchten wir doch jetzt, ganz aktuell, ganz dringend, einen neuen Vormärz, bräuchten die Literatur, die auch im Schöngeistigen die Kämpfe, die ja immer Klassenauseinandersetzungen auch sind, begleiten, aufschreiben, greifbar machen. Aber auch die sich links verortenden Schriftsteller:innen, die Romanciers und Lyriker:innen, Essayist:innen, auch sie ordnen sich ein, in die von einer bürgerlichen Literaturwissenschaft und -kritik vorgegebene Flussbegradigung. Das ist falsch. Treten wir wieder über die Ufer!
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