Perlensau (Gedichte)

by | Jan 7, 2022 | Bücher | 0 comments

Kaspar Prökl schrieb auf Amazon eine späte, aber schöne Rezension zum Band. Die Gedichte sind, fast alle, übrigens Teil von “wenn der tag erwacht, singt ein wind …”. Perlensau selbst ist antiquarisch wohl erreichbar …

„Perlensau“ heißt der 2008 erschienene Band mit Gedichten und entsprechend rustikal gibt sich der Autor auf dem Titel: Zigarettenqualm weht den Betrachter an, wenn Leander Sukov, Perlgehänge an den Ohren, seine lyrischen Perlen vor die Leser wirft. Aufmüpfig und charmant verschmitzt zugleich blinzeln seine Augen. Ein weites Spektrum decken die Texte ab: Von den Standardthemen aller Dichtung seit deren Beginn, als da sind Liebe und Tod oder Gewaltverbrechen in den Mord- und Arbeitslagern der Nazis bis hin zu Auseinandersetzungen mit aktuellen politischen Fragen. Wobei Beziehung und Bezug changieren können, etwa wenn angedeutete physische Liebe sich ändert zu geistiger Nähe, weil vom harmlosen Mädchennamen Alexandra der Bogen geschlagen wird zu einer russischen Revolutionärin, politisch sowie in Fragen freier Sexual-Moral, und Diplomatin der Sowjetunion: der Schriftstellerin Alexandra Kollontai.

Gegenwart und Vergangenheit, ohne die eine erfolgreiche Bewältigung der Zukunft und künftiger Aufgaben nicht denkbar wäre, fließen hier beispielsweise in dem Gedicht „Heute 1945“ ineinander; das Gestern hat untilgbare Spuren ins Jetzt gegraben, ohne deren Aufdeckung kein Morgen denkbar ist. Wollen Vogelschisser ablenken von Verbrechen ihrer Gesinnungsfreunde, so trotzen ihnen seit der Aufklärung Dichter, lenken den Blick auf Dinge, die nicht vergessen werden dürfen, damit sie sich nicht wiederholen. Namen nennt Leander Sukov von Opfern, deren Individualität gewaltsam auf tätowierte Nummern im Arm reduziert wurde; mitunter direkt vor der Gaskammer: der „Blausäure des Zyklon-B“.

Fest fixiert im kollektiven Gedächtnis ist der Elfte September, eingebrannt, könnte man sagen, wäre die Metapher nicht arg verbraucht und viel zu verstaubt, ähnlich den Straßen New Yorks nach dem Einsturz der Türme, fälschlich einseitig besetzt, um abzulenken. Leander Sukov erinnert auch an ein anderes Verbrechen just an diesem Termin: an den Militärputsch gegen Allende in Chile, damals klammheimlich befürwortet von westlichen Politikern und offen verharmlost sowie nicht nur diskret unterstützt.

Geistige Paten zitiert Leander Sukov, literarische Gewährs-Frauen und -Männer, in ihrer Tradition fühlt er sich geborgen und deren Erinnerungsarbeit will er fortsetzen: Gegen spießige Moral für eine freie, offene Gesellschaft, ohne Unterdrückung. Und er weiß doch nur zu genau, dass diese Utopie nicht leicht einzulösen ist. Charles Bukowski weht durch die Texte, an James Douglas „Jim“ Morrison erinnert als eine Station auf der „Zeitreise“ ein Gedicht. Großen Gestalten widmet er literarische Liebeserklärungen. Kollegen umarmen die Texte verbal und leben vom Kontakt mit Menschen von Fleisch und Blut. Einer erstaunlichen Riege literarischer Göttinnen und Götter wird hier anerkennend Tribut gezollt: Wladimir Wladimirowitsch Majakowski und Hilde Domin, John Lennon und Robert Gernhardt.

Und immer wieder Bilder, die er deutet: „Augen“. So unterscheidet er zwischen „Nordseeaugen“ in „ihren Herzen/ wohnt der blanke Hans“ und „Gletscheraugen“ in „ihren Herzen/ liegt Schnee“ oder „Bergseeaugen“: die seien immer „unergründlich“ und „in ihren Herzen/ schwimmen Nixen.“ Sanft-zarte Liebeserklärungen stehen neben Dokumenten brutalster Realität. Und wie als Beleg, warum und wozu Wort und Dichtung wichtig sind, hat er am Schluss eine Ansprache der unlängst verstorbenen Esther Bejarano aufgenommen. Sie überlebte, weil sie in Auschwitz im Mädchen-Orchester spielte „mit Tränen in den Augen“, denn die Musikerinnen wußten, dass die Neuankömmlinge direkt in Gaskammern ermordet wurden. Kunst gleicht und kann Augen öffnen. In ihr, in ihnen spiegelt sich die Welt: verzerrt oder realistisch. Sie kann missbraucht werden, um Verbrechen zu verschleiern oder im Gegenteil: sie aufzudecken und an sie zu erinnern. ”

2009, Kulturmaschinen Verlag, Berlin
112 Seiten

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