Um es gleich vorweg zu sagen: Es gibt, meiner Meinung nach, keine linke Belletristik. Die schöngeistige Literatur verhält sich nicht, wie sich Sachbücher verhalten. Sie schafft eine neue Wirklichkeit, also einen von realen Leben immer getrennten Seinszustand; selbst dann, wenn sie die Wirklichkeit wirklichkeitsgetreu schildert. Denn ihre Realität liegt allein in Schilderung und Rollenprosa innerhalb einer geschaffenen Kulisse. Ich will das den „inneren Diskurs“ nennen, weil mir Diskurs schon deshalb sinnvoll erscheint, da der Begriff den Schöpfungsakt einbezieht.
Gleichwohl und selbstverständlich kann dieser innere Diskurs einen politischen Impetus und ein politisches Ziel haben. Er orientiert sich, wenn es sich beim jeweiligen Werk nicht um Lohnschreiberei handelt, immer am moralisch-ethischen Rahmen des Schriftstellers, weil der Schriftsteller diesen Rahmen nicht verlassen kann. Diese Orientierung bleibt auch dann bestehen, wenn vollständig konträre Figuren und Handlungsweisen erschaffen werden. Ihr Handeln in der fiktiven Welt des Buches kann ja nur deshalb konträr zu den Normen des Autors erfolgen, weil es diese Normen gibt und der Schriftsteller deshalb eine konträre Position erschaffen kann. Es handeln also fiktiven Personen in einer fiktiven Welt und nehmen fiktive Handlungen vor. Trotzdem können sie in die uns umgebende Realität hineinwirken, wenn sie durch uns wirken. Sie sind in der Lage Sachverhalte darzustellen und trotz ihrer Determiniertheit ein Eigenleben zu entwickeln, weil wir uns an ihnen messen, ihre Handlungen hinterfragen und sie uns also als Instanz dienen können. Dadurch lassen sie die Beschränkungen ihrer fiktiven Welt hinter sich.
Und doch gibt es keine linke Belletristik. Das liegt daran, dass man Inhalt und Form trennen muss. Schöngeistige Bücher unterliegen immer der Interpretation des Lesers. Seine Lebenswirklichkeit, seine Sozialisation und seine Verortung als Adept im politischen Bereich bedingen Differenzierungen in dem, was er aus einem Buch herausnimmt. Willi Bredels „Unter Türmen und Masten“ wird vermutlich von einem Mitglied der Linkspartei ganz anders gelesen und also aufgenommen werden, als von einem sonst eher politisch uninteressierten Mitglied eines Hamburger Traditionsvereines.
Von der Rezeption durch den Leser ist der Wille des Autors völlig verschieden. Der Autor also kann eine Welt schaffen, in der Figuren solche Handlungen vornehmen, Dialoge führen und sich so generieren, dass man ihr erschaffenes Tun als „links“ bezeichnen kann. Es ist also nicht das Werk, als solches, ein Werk, das sich der politischen Linken zurechnen ließe, es ist die in ihm enthaltene Welt, in die gleichsam ein politischer Inhalt gegossen wird. Der mag dann den Leser agitieren, wenn dessen Fokus auf den Stoff ihn dermaßen erreicht.
Es gibt also, m.M.n., Bücher mit deren fiktiver Welt sich etwas materialisiert, das sich als links verorten lässt. Das Werk an sich, also das gesamte Konstrukt, bleibt jedoch außerhalb einer jeglichen Verortung. Es ist systematisch allenfalls in die umstrittenen Schubladen von Trival- und Hochliteratur einzuordnen; man mag daneben noch eine Einordnung treffen mögen, die sich auf moralisch-ethisch Kategorien bezieht. Mir schiene eine solche zweite Einordnung jedoch noch problematischer, als die Erste, weil sie sich nicht auf ein literarisches, sondern ein vollkommen äußeres Konstrukt bezöge. Ein Beispiel wäre „Die Geschichte der O“, die sich, wenn man unbedingt will, in den Bereich der Trivialliteratur einordnen ließe und wegen ihres sexuellen Inhalts je nach Standpunkt des Lesers entweder als moralisch verwerflich oder befreiend betrachtet werden könnte.
Gleichwohl fehlt uns eine Literatur in die „linke“ Entwürfe durch die Handlungen eingegossen sind. Seit den Ritterepen hat es fortlaufend eine Literatur gegeben, die sich, in Lyrik oder Prosa, kritisch und humanistisch, revolutionär und anklagend mit der jeweiligen Lebenswirklichkeit beschäftigt hat. Pazifistische Lyrik ist schon seit den frühesten Zeiten bekannt, Grimmelshausens Werke, insbesondere der Simplicissimus, sind Anklagen gegen den Krieg, Büchner, Heine, Herwegh, Freiligrath, Börne, später dann Tucholsky, Brecht, und wiederum später Heiner Müller, Gisela Elsner, Max von der Grün, Schernikau usw. haben eine Literatur geschaffen, in der die Handelnden auch die Funktion von politischer Ansprache an den Leser haben. Diese Literatur konnte, insbesondere die Literatur des „Werkkreises Literatur der Arbeitswelt“, damit gegen den bürgerlichen Literaturbetrieb der Bundesrepublik Deutschland nur bestehen, weil es einen zweiten Markt gab, eine andere Phalanx von Kritikern und Medien, die es möglich machte, in den bürgerlichen Literaturbetrieb kraft der Stärke des eben anderen getragen zu werden. Die Werke der Schriftsteller waren nur deshalb in der Lage zu wirken, weil es eine Wirkbasis gab. Diese Wirkbasis ist ganz offensichtlich verloren gegangen. Weder gibt es in die Gesellschaft hinwirkende linke Literaturprojekte, die über den Bereich gelegentlicher Versuche zu kultureller Arbeit hinausgehen, noch gibt Schriftsstellergruppen, die sich politisch eindeutig verorten. Der Verband deutscher Schriftsteller, die gewerkschaftliche Vertretung der Autoren in Deutschland – ich lege die Mitgliedschaft in ihm meinen Kolleginnen und Kollegen ans Herz – kann diese Arbeit nicht mehr in dem Maße leisten, das wünschenswert wäre, weil dazu eine Autorenschaft vonnöten ist, die eine solche Arbeit auch goutieren würde und sie trüge.
Und auch der bürgerliche Literaturbereich bricht zusammen. Zwar steigt die Anzahl der neuproduzierten Titel, jedoch ist das in erheblichem Maße einer Literatur geschuldet die nicht nur, um diesen Kampfbegriff noch einmal zu strapazieren, trivial ist, sondern auch der Realitätsflucht dient. Der renommierteste deutsche Verlag im Bereich der sogenannten Hochliteratur, hat, glaubt man Wikipedia, einen Jahresumsatz von 45 Millionen Euro. Das ist, gemessen an dem Gesamtumsatz der deutschen Verlage, wenig und wirft ein bezeichnendes Bild auf die Verteilung der Anteile von Genres im Land. Die sogenannten linken Verlage, die von den späten Sechzigern bis zum Ende der Achtziger ein ordentliches Auskommen, nicht nur mit Sachliteratur, hatten, haben in mehr als spürbarem Rahmen Leserschaft verloren.
Zugleich ist im Bereich der Musik, von Dota Kehr bis Max Prosa, ein neuer Aufbruch zu verzeichnen. Es wird Zeit, dass dieser Aufbruch auch im Bereich mit einer Literatur politisch nachvollzogen wird, die eben nicht nur trivial ist, der Wirklichkeitsflucht dient oder sich auf wirkungslose Zynismen dem gesellschaftlichen Sein gegenüber kapriziert.
Wir brauchen wieder eine literarische Einmischung. Es wird Zeit. Wir brauchen dazu eine breite, von den bestehenden linken Institutionen und Parteien getragene Kultur- und Literaturarbeit, die dazu führen muss, ganz aus den Institutionen und Parteien losgelöste Kreise zu bilden, die diese Literatur tragen und verbreiten können.
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