Hochkultur: Banaler Kaiser in immer neuen Kleidern

by | Sep 17, 2012 | Wort & Freiheit | 0 comments

320px-Hochkultur_TriebverteilungDas Triviale im vermeintlich Unpolitischen

Im deutschen Sprachraum, sonst nirgends, trennt eine kleiner werdende Gruppe, die sich als Elite des Kulturbetriebes ansieht, Kunst in Unterhaltungs- und ernste Kunst auf. In der Literatur wäre die Entsprechung logisch Unterhaltungsliteratur und ernste Literatur.

Man muss die Geschichte dieser Aufteilung kennen, um ihr Wirkprinzip zu verstehen. Hochkultur ist als jener Teil der gesellschaftlichen Kultur entstanden, welcher direkt die jeweilig herrschende Gesellschaftsgruppe stützt. Ich spreche hier absichtlich nicht von „Klasse“, weil die Adressierenden und die Adressaten auch unterschiedlichen Klassen angehören können, wenn sie nur diejenigen sind, die im Rahmen der Herrschaftsgefüge zur Herrschaft beitragen. Augenfällig wird dies bei der Hochkultur unter noch adliger, also i.d.R. monarchischer, Herrschaft, an der aber das Großbürgertum schon beteiligt ist. Hochkultur ist also Teil von Herrschaft. Das macht ihr Gegenteil nicht besser, sondern nur anders. Der Teil von Kunst, der nicht zur Hochkultur gehört, unterscheidet sich erst mal nur deshalb von ihr, weil er ihr nicht zugeordnet ist. Zuordnung ist aber zeitabhängig, sie ist Moden unterworfen und kann sich ändern. Das mag, in diesem Rahmen wird es ausreichend sein, mit einem Roman verdeutlicht werden, nämlich Moby Dick, der fünfzig Jahre darauf warten musste, in den Rang der Höhenkammliteratur aufgenommen zu werden. Man erkennt, kennt man Moby Dick, auch sofort, dass es keine auf die Herrschaft bezogene Funktion eines Werkes geben muss, um zur Hochkultur zu werden. Es muss, mehr ist nicht vonnöten, durch jenen dazu erklärt werden, die die Deutungshoheit haben. Objektive Kriterien gibt es außerhalb der Frage der Schöpfungshöhe nicht. Hochkultur und Nichthochkultur korrespondieren nicht mit Qualität und Funktion, sondern nur mit Definition. Sie sind Mythen, die von Mythenmachern erzeugt werden. Diese Mythenmacher legen sich Instrumentarien zu, mit denen sie, mehr oder weniger sicher, zu einer gegebenen Zeit, also unter einer gegebenen Mode, Definitionen treffen und damit ihren Kulturbeutel füllen.

Selbstverständlich sind diese Zuschreibungen das, was die Werke, denen sie gelten nicht sein sollen: trivial. Die Aufteilung von Kunst in einen hohen und einen Unterhaltungsbereich ist der Gipfel an Trivialität. Es ist banal, aber wirkkräftig. Eine Kulturschrubbelei ohne Grundlage. Und diese Kulturschrubbelei wirkt auch über Potentialvergrößerung: Wer als Künstler in den Bereich der Hochkultur aufgenommen worden ist, vergrößert diese triviale Banalität durch von ihm hinzuaddierte Künstler. Er macht mit, wenn er sich nicht dagegen wert, Teil von etwas zu sein, was mehr als ein Mythos nicht sein kann. Wer erkennt, dass es nicht um das Werk geht, sondern nur um den Künstler gehen kann, den man solcher Art einfängt, um ihn in den rostigen Käfig des Hofnarren zu sperren, wird sich verweigern.

Es gibt in den Reihen der Mythenmacher allerdings eine Übereinkunft darüber, was keinesfalls zur Hochkultur zu gehören hat. Politische Literatur, dann wenn sie sich gegen das bestehende Herrschaftsgefüge stellt, hat es schwer mit dem Weg auf den Höhenkamm. Allerdings wird diese Abgrenzung natürlich nicht durchgehalten. Man muss, auch beim Mythos der Hochkultur, Zugeständnisse machen. Majakowski, Feuchtwanger, Brecht und Eisler, Hacks (obwohl sich bei ihm die Elite nicht mehr sicher zu sein scheint) sind – noch – Teil von Hochkultur, obwohl sie natürlich politische Autoren sind und sich, besonders was Majakowski, Hacks und Brecht angeht, gegen die bestehende Ordnung gestellt haben. Sie sind aber nicht wegzudrücken, auch wenn es versucht wird. Ich erinnere mich an eine karnevalistische Sitzung des Literarischen Quartetts, auf der sich die anwesenden Kritiker im Rahmen ihrer Möglichkeiten redlich bemühten, Brecht vom Kommunismus zu trennen. Am Ende sahen sie allerdings ein, dass es ihnen nicht gelingen wollte. Sie definierten sich „ihren“ Brecht dann etwas kleiner, damit er, sozusagen verzwergt, weiter in den Gefilden des heimischen Bücherschrankes hausen konnte, ohne zu stören.

Es ist eine Schimäre von Wichtigkeit, die aufgebaut wird. Es ist zugleich eine Selbstbeweihräucherung jener, die zugewählt wurden und nun ihren Käfig einrichten, wenn sie, die einer vermeintlich existenten Hochkultur angehören, sich Argumentationen bauen, wie Kinder sich Sandburgen schaffen.. Das mag, wenn es im Allgemeinen bleibt noch als persönliche Marotte hingenommen werden. Geht es darum, politische Literatur, also eine, in der die Figuren in einer fiktiven Welt fiktiv politisch handeln (Beispiele: Die Geschwister Oppermann [Feuchtwanger], Die heilige Johanna der Schlachthöfe, Mutter Courage [Brecht], Mutters Courage [Tabori], Das siebte Kreuz [Seghers], Stadt der Engel [Christa Wolf], Kleinstadtnovelle [Ronald M. Schernikau]), abzuwerten, so wird sofort ersichtlich, um was es den Verfechtern der sogenannten Hochkultur geht: Es geht um Ruhe, also Abschottung. Das Innere, der gemütliche oder ungemütliche Blick in die Seele soll es sein, soll es bleiben. Der Blick auf das, was die Seelen mit Müll, Angst, Verzweiflung oder Mut füllt, soll unterbleiben. Die Welt und die dialektische Beziehung zwischen dem gesellschaftlichen Sein und dem inviduellen Seinsausfluss des Gesellschaftlichen soll unterbleiben. Jedenfalls dann, wenn das individuelle Sein nicht als übergewichtiger Fettwanst den Blick auf die Determinanten des ihn erst schaffenden Gesellschaftlichen verstellt.

Literatur, Bildende Kunst, Musik usw. unterscheiden sich hinsichtlich der einzelnen Werke meiner Meinung nach ausschließlich in der Qualität. Und ich gebe zu, dass es keine Kriterien gibt, die immer standhalten. Man kann das nicht nach oder mit Genres tun. Ich finde Mittelalterromane allenfalls lustig, in der Regel reicht die literarische Kraft der Autoren nicht und nicht ihr Wissen um das Mittelalter, um Literatur zu schaffen, die mehr als Zerstreuungsliteratur ist. Aber das gilt selbstverständlich nicht für Umberto Eco. Romane, in denen Vampire ihr Unwesen treiben, sind, soweit ich sie kenne, blutleer. Aber für Stokers Dracula gilt das nicht. Ich bin auch kein Freund von Science-Fiktion-Romanen und muss bei Lem doch sagen, dass ich ihn gerne lese, weil er das Genre verlässt. Auch scheint mir das – für mich – das Kriterium zu sein, welches ein gutes Buch in der Regel (aber nicht immer) von einem schlechten unterscheidet: Die Unmöglichkeit, es einem Genre zuzuordnen.

(Bild: Hochkultur und Triebverteilung im Weinbau. Da gehts. Sonst nicht.)

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