Die Frau im Zimmer

by | Feb 8, 2013 | Wort & Freiheit | 0 comments

Wer jene sei, wollte die wissen, die in meinem Arm lag, das Gesicht zu mir gedreht, etwas herabgerutscht, so dass sich ihr Kopf auf der Höhe meiner Brust befand. Ich lag zur Wand hin auf dem schmalen Bett, welches sich in meiner schmalen Wohnung befindet. Sie lag also zu mir und gleichzeitig zur Wand gedreht. Die Mühe sich zum Zimmer hin zu drehen machte sie sich nicht.. Stattdessen beschrieb mit dem Arm eine fahrige, nachlässige, ziellose Bewegung über ihre Hüfte hinweg. Wer jene da sei, wolle sie wissen, so wiederholte sie.
Das Zimmer war leer, bis auf uns beide. Und ich sagte es ihr. Sie lachte. „Da ist doch wer, ich spüre es genau. Jemand ist in diesem Zimmer und ich glaube, die Person war schon hier, als ich heute Abend Deine Wohnung betrat. Sie lebt hier. Ich weiß es genau.“
Der Raum lag im Dämmerlicht, jenem Licht, welches dem Tag nicht mehr und der Nacht noch nicht gehört.
Ich versicherte, dass niemand hier sei außer uns. Ich würde, so schwor ich, allein in der kleinen Wohnung leben und es sei weder jemand im Bad, noch in der Küche versteckt – den anderen beiden, ebenfalls schmalen Räumen. Sie aber bestand darauf: Jemand wäre anwesend, ganz nah, wirklich körperlich anwesend. Sie könne nicht bleiben, auf gar keinen Fall, beschied sie mir, stieg mit langsamen, grazilen Bewegungen aus dem Bett – ja stieg, wie soll man anders zu dem sagen, was sie tat -, zog sich vor meinen Augen an, legte einen Finger vor ihren Mund, als ich den meinen öffnete, um etwas zu sagen, gab mir dann einen Kuss – einen von der Art der letzten Küsse – und ging. Ein stummer Abschied, fern jedes Vorwurfs. Sie ging, so als ginge jemand von der Bühne, um den nachfolgenden Künstlern das Podium zu überlassen.
Ich war allein, so glaubte ich. Glaubte es für einen Moment. Dann sah ich sie! Sie stand an meinem Schreibtisch. Trotz des grauen Halbdunkels schimmerte ihr langes Kleid seidig, auf ihrem glänzenden schwarzen Haar spiegelte sich irgendein Lichtschein, der von außen in das Zimmer fiel. Ich wusste, dass sie nicht da sein dürfte. Es war falsch – nein, ich muss es präziser fassen: es war fehlerhaft, dass sie hier war.
Ich erhob mich. Vorsichtig näherte ich mich der Gestalt. Sie lächelte. „Du bist Gott“, sagte sie. „Au contraire, Madam“, antwortete ich, „ich glaube nicht an Götter. Und an mich glaube ich manchmal auch nicht“. Sie gab mir einen Kuss. „Du hast mich geschaffen“, sagte sie, „aus dem Nichts geschaffen. Du musst Gott sein.“ Jetzt erkannte ich sie. Sie war, wie soll ich es sagen, ohne das es falsch wäre in Darstellung, Assoziation und Kausalnexus?: mir erschienen und zugleich, ja da war ich mir jetzt – eine plötzliche Erkenntnis – sicher, von mir erschaffen worden. Ich hatte ihre, wie ich mich erinnerte, anfangs noch schemenhafte Erscheinung aus Erinnerungen an fremde Augen, einmal gesehenen Mündern, einmal gehörten Stimmen, einmal berührten Haaren, aus einmal geliebten Körpern, aus einmal gerochener Haut geformt. Ein Homunkulus, ein Golem von vollendeter Schönheit. Sie war mein Ideal, und ich meine dieses Wort nicht in seiner abgeschliffenen Bedeutung, sondern in jener, die man getrost als eine idealistische bezeichnen kann: die absolute Idee einer Frau. Sie war mein Alp. Ein Alp aber, der  mich für einen Gott hielt, weil er sich von mir geschaffen wähnte. Dabei hatte ich ihn doch nur komplementiert, montiert, collagiert.
„Ist sie“, fragte die von mir geschaffene Frau und wies auf das leere Bett, „wegen meiner gegangen?“
„Nein“, antwortete ich, „sie ging meinetwegen. Weil ich an Dich gedacht habe, obwohl ich doch mit ihr beieinander lag“. Die Frau im seidenen Kleid lachte. „Ich bin Deine Schuld?“. Ich nickte. Ja, das war sie. Meine Schuld an all den verlorenen Beziehungen, an all den Abschieden. Immer war sie da gewesen, das wusste ich jetzt, immer war sie anwesend und immer wog ich jene anderen an ihr ab. Deshalb waren sie gegangen, deshalb blieb keine bei mir. Ihretwegen, also wegen meiner.
„Du musst mich verlassen“, sagte ich und strich ihr über das seidige Haar.
„Ich kann nicht, weil Du mich nicht gehen lässt. Ich bin ja nur, weil Du mich denkst. Ich habe keinen anderen Ort.“

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