Das tätowierte Gedicht

by | Mrz 11, 2019 | Wort & Freiheit | 0 comments

Mein erster langfristiger Erfolg als Dichter war ein Gedicht über die Zwiebel. Die Zwiebel war meine Stammkneipe in Hamburg. Und ich glaube, kaum ein Gedicht hat einem Dichter in den Siebzigern oder Achtzigern hierzulande so lange Geld eingebracht, wie das. Ich habe keine Ahnung, wie es überhaupt dazu kam.

Jedenfalls: Ich war so um die Zwanzig und wir hingen mit ein paar Genossinnen und Genossen gerne in der Zwiebel ab. Ich latschte meist von Zuhause hin. Vom Sandweg über den Platz ohne Namen, heute heißt er Glücksburger Platz, durch die Eimsbüttler Straße und die Langenfelder rauf, wo meine Großeltern gewohnt haben, die Alsenstraße entlang und unter den Gleisen durch, über die Allee und beim Altonaer Rathaus vorbei und dann runter Richtung Neumühlen. Auch im Winter. Ich wusste, wann ich losgehen musste, um pünktlich um Acht vor der Tür der Kneipe zu stehen und dann, wenn ich Glück hatte, als der erste Gast in den Laden gelassen zu werden. In diese dunkle, gebärmutterartige Höhle, die nach Bier und Whiskey, Irish Stew und selbstgedrehten Zigaretten roch.


In einem Winter lag der Schnee hoch. Achtundsiebzig war das. Und es kostete mich mächtig Ansprengung hinzukommen. Der Bus fuhr nicht. Aber ich war mir sicher, dass die Zwiebel mich mit Wärme und Kerzenschimmer, mit Guinness und einem ordentlichen Eintopf empfangen würde. Uli, der Tresenkönig, alle Götter Irlands mögen seiner Seele gnädig sein, wohnte nur paar Treppen rauf an der Elbtreppe, wie der schmale, vielstufige Weg hieß, an dem die Zwiebel lag. Also stapfte ich los.


Ich schrieb über diesen Abend ein Gedicht. Und das landete bei einem Verlag, der Fotobände herausgab. Sie hatten gerade einen über Tätowierungen in Arbeit und offenbar fanden die Leute da Gefallen an meinem Gedicht und druckten es ab. In der ersten Auflage. Dann in der zweiten und der dritten. Und es blieb, glaube ich, bis zur fünften Ausgabe im Buch. Geld vom Verlag sah ich nur einmal. Hundert Mark. Das war eine Menge Knete zu der Zeit für ein Gedicht. Sie nahmen es handschriftlich auf. So wie ich es auf einen Zettel geschrieben habe. Wer es an der Verlag geschickt hatte, habe ich nie rausbekommen. Wir machten einen Vertrag und alles, was dazugehört. Aber jedes Jahr kam Geld von Verwertungsgesellschaft. Für dieses Gedicht. Mal mehr, mal weniger. Aber verlässlich. Offenbar war das Buch ein Renner. Vermutlich wegen der Fotos von tätowierten Brüsten, Pimmeln und Arschbacken. Nicht wegen meines Gedichts. Aber das war mir egal.

Leander Sukov

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