Vier abgeschlossene Genre-Romane zu Weihnachten

by | Dez 24, 2012 | Wort & Freiheit | 0 comments

 

Erster Roman

Dichter Schnee fiel auf die Gassen des kleinen englischen Hafenstädtchens. Die schmalen gewundenen Straßen, die alle auf den kümmerlichen Hafen zuzulaufen schienen, waren menschenleer. Ein leichter Nord-Ost ging und machte selbst die Menschen frieren, die in ihren Häusern vor dem Kamin saßen und sich auf das Weihnachtsfest freuten. In den Küchen waren die Hausfrauen dabei, die letzten Vorbereitungen zu treffen und die Großmütter lasen ihren Enkelkindern Charles Dickens vor.
Wären nur einige von ihnen draußen auf den Wegen gewesen … Sie hätten einen Schatten sehen können, einen schwarzen Schatten, der sich schnell, behände bewegte und wer ihn gesehen hätte, der hätte gewusst: Da sucht einer etwas und der, der sucht, der ist nicht von dieser Welt.
Er sah sie vor dem Eingang des kleinen jämmerlichen Parks, um den sich niemand mehr kümmerte außer dem betagten, buckligen Gemeindediener, der aber die Arbeit aufgrund seines fortgeschrittenen Alters eher schlecht als recht verrichten konnte.
Sie stand dort, verloren, eine Kapuze über das vermutlich schöne Antlitz gezogen. Eine wie sie, ja, eine wie sie, hatte er gesucht. Seit Stunden schon war er durch die Gassen geeilt, wollte schon aufgeben, war verzweifelt fast und gedachte der Ewigkeit, in der sich diese Suchen wiederholen würden, wie seit so langem. Er näherte sich, ohne dass sie es bemerkte. Dann war er neben ihr. Seine Arme umschlangen sie, hielten ihren mädchenhaften Körper, seine Hände zogen die Kapuze vom Kopf und wirklich – sie war schön. Ihr blasse Haut errötete. Er schob ihren Schal vom Hals, sie sah seine Zähne, spitz und lang, und sie spürte seinen Atem. Schon wollte er zum Biss ansetzen, da hörte er ihre Stimme. „Du stinkst aus dem Maul, wie eine Kuh aus dem Arsch“, sagte das filigrane, weißhäutige Geschöpf und sie sprach mit einem starken nordenglischem Akzent. Es durchfuhr ihn wie ein Schlag. ‚Lieber Truthahn‘, dachte er, ‚dann lieber Truthahn‘. Und schnell und lautlos, wie er gekommen war, verschwand er, einem Schatten gleich, im Gewirr der kleinen Gassen.

Zweiter Roman

Schrötmüller blickte auf den Gerichtsmediziner. „Todesursache?“, fragte er. „Versterben“, antwortete der kleine, dicke Mann. „Wohl einen Clown gefrühstückt“, erwiderte Schrötmüller. Der Pathologe zeigte auf den Kopf des Skeletts. Schrötmüller sah die Axt, die tief im Schädel steckte. „Aha!“, rief er aus, „aha, ein ganz perfides Verbrechen.“ Der Mediziner nickte. „Den kriege ich, da können Sie sich drauf verlassen“. Schrötmüller fingerte einen Flachmann aus der Joppe und nahm einen tiefen Schluck. Er blickte den Gerichtsmediziner an. „Auch?“. Schrötmüller war kein Mann von vielen Worten.
Die Scheinwerfer der Mordkommission leuchteten die Szenerie hell aus. Niemand wusste, wer den Toten ausgegraben hatte. „Wer hat‘n ausgegraben, was?“, fragte Schrötmüller. Da hörte er eine Stimme hinter sich.
„Was zum Teufel machen Sie denn hier“, rief die Stimme, die psychopathischer klang, als alle Stimmen, die Schrötmüller bislang gehört hatte, und er hatte viele Stimmen gehört. Es war, als würde Klaus Kinski so sprechen wie Harry Rowohlt oder Harry Rowohlt so, wie Klaus Kinski. Schrötmüller fuhr herum. „Wer sind Sie?“, fragte er, „und wer hat sie durch die Absperrung gelassen?“. „Ich bin der Kreisarchäologe“, antwortete ein riesiger bärtiger Mann, „und sie packen jetzt mal hier ihren Kram zusammen und verschwinden“. Schrötmüller fügte sich widerwillig. Auf dem Weg zum Auto aber raunte er dem Gerichtsmediziner zu: „Es war Mord, ganz eindeutig Mord“. Dann nahm er noch einen Schluck aus dem Flachmann und schwang sich in seinen alten Ford 17 M.

Dritter Roman

Der kalte Dezemberwind hatte die Bäume mit Eis überzogen, das in dem Mondlicht, welches fast wie Gold vom Himmel fiel, funkelte. Sie fror. Sie schlang ihr Cape enger um sich, hüllte sich ein in das wollene Tuch. Welch ein Glück, dass Graf Ruprecht von der Hohenburg ihr vor Jahren die guten Lederstiefel für die eine Nacht geschenkt hatte, die sie bis zum heutigen Tag nicht vergessen konnte. Sie wusste, sie hatte gesündigt, damals, und die Sünde auf der Burg, vor dem Kamin, der in jenem Januar Tag und Nacht brannte und die zugigen Räume des Gebäudes mit ein wenig Wärme versah, hatte immer neue Sünden nach sich gezogen. Doch in ihrem Inneren sehnte sich sie nach Liebe, nach der Liebe Gottes und der Liebes eines aufrechten Burschen, der ihr all ihre Sünden verzieh, so wie Gott sie ihr vergeben sollte. Sie sandte ein Gebet in den Nachthimmel. Jetzt war ihr wärmer.
Man hatte sie aus der Stadt gejagt, am Heiligen Abend, während die Bürger vor ihren Braten in der Wärme ihrer Fachwerkhäuser saßen. Wohin sollte sie sich wenden in dieser kalten Nacht. Die Hebhure nannten sie sie, weil sie so viel schon gehoben, ja zum Stehen gebracht hatte, weil sie zuckende Wonne gebracht hatte, wo die fetten Weiber der Patrizier nichts mehr ausrichten konnten, trotz aller ihrer Gebete, Wundermittel und Beschwörungen. Man hatte ihre Handwerkskunst geschätzt, bis der Pfaffe gegen sie wetterte, weil sie gerade bei ihm versagt hatte.
An ihrer Seite spürte sie das Schwert, welches ihr der Vater geschenkt hatte, als er vergiftet vom verräterischen Burghauptmann auf dem Sterbebett lag. Ihr Vater der alte Graf … Da hörte sie eine Stimme. „Halt, halt, halt“, rief die Stimme, „dias Licht stimmt nicht. Alles nochmal. Mehr Gold auf die Bäume.“
Sie fluchte. Es war das sechste Mal, dass sie die Szene drehten.

Vierter Roman

Wie schön es war, ihre heiße Haut zu spüren. Ihre festen Brüste wippten über seinem Gesicht. Ihre Lustgrotte war feucht, wie der Regenwald nach der Regenzeit und sein Mast stand aufrecht, wie der Großmast seiner Segelyacht.
„Oh, Du“, stöhnte er.
Ihre Bewegungen hielten inne. Sie stütze sich neben seinem Kopf ab, sah ihm ins Gesicht. „Sie“, sagte sie, „bitte schön. Wir haben ausgemacht, wie bleiben beim ‚Sie‘“. Sie ließ sich seitwärts von ihm rollen. Oh, wie er seine Eltern hasste. Sie waren an allem Schuld. Nicht zum ersten Male erstarb die Lust nur aufgrund seines Vornamens. Wie hatten sie ihn nur „Herbert August“ nennen können. Er rollte sich auf Seite, lag da wie ein Embryo und weinte.

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