Hans’ Ehe

by | Okt 21, 2016 | Wort & Freiheit | 0 comments

schwarzesquardratHans freute sich jeden Morgen auf die Zeitung. Hörte er den Briefkasten klappern, so lief er hinaus, öffnete die Lade mit eigentümlicher Vorfreude und holte das Tageblatt heraus.
Dann in die Küche, an den Frühstückstisch. Hans goss sich Kaffee ein, nahm einen Schluck, spürte die Hitze des Getränks und den vertrauten, stets gleichen Geschmack, das Orientalische, das zwischen Kaffeepulver und Milch herausschmeckte und vom Kardamom stammte, den er beizumischen nie vergaß, biss vom schon geschmierten Brötchen ab und griff, kaum dass er den Bissen heruntergeschluckt und mir einem Mund voll Kaffee nachgespült hatte, zur Zeitung, die er nun, in einer über die Jahre geübten und immer weiter verfeinerten Art, ja in der Weise eines ausgebildeten Nachrichtensprechers, seiner Frau vorlas. Ein eingeübtes Ritual, welches er pflegte, seit beide in Rente waren, freilich hatte seine Frau ihre Rententagen zuerst ohne sein Vorlesen, einsam, am Tisch in der Küche verbringen müssen, denn sie war zuerst in Rente gegangen, ja, er hatte sie erst am Tage ihrer Pensionierung kennengelernt, zufällig, bei einem Schaufensterbummel. Doch waren sie, schon an diesem Abend sogar, übereingekommen, zusammen zu ziehen.
Zuerst las er ihr „Aus aller Welt“ vor, dann das Regionale und danach erst das Zeitgeschehen. Immer wieder unterbrochen von kleinen Schlucken Kaffees, die er zu sich nahm und auch von seinen Kommentaren zu diesem oder jenem.
Eine halbe Stunde Ritual, kaum länger, länger nur bei besonderen Anlässen, wie größeren Attentaten, Flugzeugabstürzen besonderer Art, Wahlergebnissen und ähnlichen Ereignissen von herausragender Wichtigkeit. Er las so also gut betont und stets bemüht sauber zu artikulieren für dreißig Minuten, bis er das Blatt akkurat faltete und neben seinen Teller legte.
Dreimal war er verheiratet gewesen. Aber erst diese dritte Ehe brachte ihm jene Liebe, die er sich vorher stets, aber vergeblich, voll Sehnsucht gewünscht hatte.
Zehn Jahre nun schon hielt die Zweisamkeit, eine traute Art der Seelenverwandtschaft, besiegelt durch ein Gelöbnis ewiger Treuer bis in den Tod.
Und als er in Rente ging, da hatte er ihr eine graue Perücke gegeben und ihr Kleidung in gedeckten Farben in den Schrank gelegt. Sie widersprach dem nicht, sie widersprach nie.
Er hatte viel in sie investiert, vermutlich wusste sie es zu schätzen, fühlte die besonderer Qualität der Kleidung, die samtenen Kragen, die Seide der Blusen, die Beschaffenheit der Perlenkette, die er so liebte, weil sie ihn an seine Mutter erinnerte, die eine ähnliche zu besonderen Anlässen stets getragen hatte. Natürlich sprach seine Frau nicht darüber, lobte ihn nicht, jubelte nie, wenn er ihr neue Halsketten, neue Schuhe oder Kleider brachte. Doch er wusste um die Wertschätzung, die stille Freude in ihr, das schweigende Jauchzen.
Mit zwanzig hatte er sich zu ersten Male verliebt. In eine, die nur das Äußere gemein hatte mit jener, die er nun, an seinem Lebensabend wertschätzte, wie keine vor ihr.
Er, der Paketzusteller, hatte die Erste im Hof eines Warenhauses angetroffen und in seinen Transporter gebeten. Sie hielt bis er in den Innendienst versetzt wurde. Als sie ihn verließ, sah er sie noch bis in Abend vor seinem Hause stehen, ging aber nicht herunter, sie wieder hinein zu holen, nein, das kam ihm nicht in den Sinn. Sie war nicht mehr die, die er im Hofe des Kaufhauses kennengelernt, war nicht mehr die Schönheit, die er geliebt hatte. Er hatte gewusst, dass seine Liebe eine oberflächliche war, sich nur bezog auf das Äußere, auf die Vollkommenheit und war folglich dieser Liebe verlustig gegangen, als sie die Vollkommenheit verlor, jeden Tag mehr, in einer sich steigernden Geschwindigkeit. Nachdem sie fort war, blieb er solo. Fast bis in die Mitte seines fünften Lebensjahrzehntes. Er kam mit Menschen nicht klar, das wusste er schon früh. Schon in der Schule hatte er es gespürt, das Entfernte, welches seine Person betraf und ihn fernhielt von Freundschaften und Liebeleien, von jenen vielfältig ausgestalteten Beziehungen, die er, später erst allerdings, zwischen den Menschen erkannte, und die ihn in Verwunderung, ja manches Mal sogar in Panik versetzten, dann wenn er spürte, dass jemand ihm nahekommen wollte.
Die zweite Geliebte lernte er im Internet kennen, auf einem Verkaufsportal. Acht Jahre lebte er mit ihr, schweigend beide oft, manchmal sprach er zu ihr, wenn er voll sexuelle Ektase auf ihren Leib ejakulierte und sie dabei mit Wörtern bedachte, die ihn, und wie er hoffte auch ihren schweigenden Geist in gleicher Weise, sexuell stimulierten.
Dann traf er die, der er nun seine Frau nennen konnte.
Eine Geschäftsauflösung unweit seiner Wohnung hatte sie und ihn zusammengeführt. Ein Ereignis, als wäre Gottes Hand im Spiel. Für einen Menschen, der gläubig war, wie er, der sich Sonntags morgens zu den anderen in die karge, schmucklose Kirche der Gemeinde setzte, war der Wille des Herrn unübersehbar. Das Feuer, das sofort, in ihm loderte, als er ihr begegnete, die milde Folgsamkeit, die ihr eigen war und dazu führte, dass es ihm leicht wurde, sie mit zu sich zu nehmen, ja, wie sie sich einpasste in sein Leben, wie sie den Schwur der Treue, den er ihr, vor den Ohren seines Herrn gab, annahm, schweigend, aber doch, da war er sich sicher, beredt und innerlich bewegt von seiner tiefen Liebe zu ihr.
Er hatte sich in sie verliebt, tief, gewaltig, stärker als alle Gefühle, die ihm begegnet waren in seinem menschenfernen Leben. Gemeinsam beschlossen sie die andere auf die Straße zu setzten, nicht ohne ihr Gottes Segen zu wünschen.
Mit der, deren Liebe ihm gesandt worden war, würde er seinen Lebensabend verbringen, ganz sicher war er sich dessen. Er lächelte ihr zu. Puppen dieser Qualität waren teuer. Und er dankte es Gott, dass er sie um einen guten Preis hatte erstehen können vom Besitzer des aufgelassenen Damenbekleidungsgeschäftes.

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